Sonntag, 28. Januar 2018

Neue Perspektiven auf Bekanntes eröffnet

Die Oper „Dialogues De Camèlites“ feiert Premiere in Nordhausen

Lange Zeit gehörte „Dialogues de Carmèlites“ zum Standardrepertoire europäischer Opernhäuser. Dann geriet das Werk von Francis Poulenc ein wenig in Vergessenheit. Am Freiheit brachte das Theater Nordhausen das Singspiel um den freiwilligen Tod von 15 Nonnen wieder auf die Bühne. Die Inszenierung von Katharina Thoma eröffnet einen neuen Blick auf eine Oper, zu der schon alles gesagt schien.

Die offensichtliche Tragik bleibt erhalten. Junge Adlige, die mit der Welt nicht klarkommt, fürchtet um ihr Leben und entsagt deshalb der Welt. Doch dann dringt die Realität in ihren kleinen Kosmos ein und sie verliert eben doch ihr Leben. Neben dieser bekannten Lesart öffnet Thoma noch einige andere Perspektiven zum Thema Religion und Revolution.

Die wichtigste Erkenntnis nach der Premiere: Der Tod der Frauen ist nicht zwangsläufig. Weil sie den Fokus von der Handlung auf die Motive verschiebt, gelingt es ihr, bekannte Deutungsmuster umzudrehen. Es gibt Alternativen und der Gang aufs Schafott ist nicht die Folge der Revolution sondern des religiösen Ehrgeiz. Das versteht Katharina Thoma fein herauszuarbeiten. Aber in Zeiten der Filterblasen stellt Thoma auch die Frage, was mit der Community passiert, wenn sie mit der Reality konfrontiert wird.

Der Titel ist richtungweisend. Die „Dialogues de Carmèlites“ ist eine Sprechoper. Im Vordergrund stehen die Gespräche über Gott und die Welt. Dies erfordert ein vorsichtiges Dirigat, um das gesprochene Wort zu Geltung kommen zu lassen. Zurückhaltung ist angesagt. Dies gelingen Michael Helmrath und dem Loh-Orchester im vorzüglicher Weise. Jedes Wort ist zu verstehen und meist ist die Musik der Teppich für die ach so bedeutungsschwangeren Sätze.

Blanche erhält letzte Instruktionen von der sterbenden
Oberin. Fotos: Kügler
Doch dann schlägt das Lamento in Sekundenbruchteilen in ein Furioso um. Die Sängerinnen und Sänger springen vom Rezitativ zur Arie über, um gleich wieder im Sprechgesang zu enden. Auch hier ist das Loh-Orchester ihnen ein guter und gleichwertiger Weggefährte. Es ist eben diese Aneinanderreihung der Rezitative, die diese Oper zur schweren Kost macht.

Mit der Dominanz rückwärtsgewandter neo-romantischer Attitüden sind die „Dialogues de Carmèlites“ ein klares Bekenntnis zur musikalischen Vergangenheit. Mal schmettern die Blechbläser und dröhnt die Schlagwerker fast schon wagnerhaft, mal zeichnen die Oboen feine Melodielinien. Auf jeden Fall verlangt Francis Poulenc den Musikern eine Achterbahnfahrt ab. Er negiert auch alles, was das frühe 20. Jahrhundert an musikalischen Neuerungen mit sich gebracht hat.

Europa hatte zwei Kriege und mehrere Diktaturen hinter sich, der größte Teil des Kontinents war unter dem Einfluss der Sowjets und der Kalte Krieg wurde immer wärmer als Poulenc diese Oper im Auftrag der Mailänder Scala schrieb. Der Franzose hatte sich schon seit Mitte der 30-er Jahre dem Katholizismus zugewendet.

Grundlage seines Librettos ist die Novelle „Die Letzte auf dem Schafott“ von Gertrud von Le Fort. Dieser wieder liegt ein Ereignis aus der Französischen Revolution zugrunde. Am 17. Juli 1794 werden in Paris 16 Schwestern aus dem Karmeliterinnenkloster vom Compiegne.

Die neue Oberin konfrontiert die Gemeinschaft mit
der Realität. Foto: Kügler
Ausgangspunkt der Oper sind die Psychosen der Blanche de la Force. Die junge Adlige wird von Ängste gejagt und sie ist überzeugt, dass sie wie ihre Mutter auch einen frühen Tod sterben wird. Um sich der irdischen Last zu entledigen wird sie gegen den Willen ihres Vater Nonne im Karmeliterinnenkloster von Compiégne.

Zinzi Frohwein spielt und singt diese Rolle glaubwürdig und eindringlich bis zur bitteren Neige. Ihre Bühnenpräsenz macht die Leiden der Blanche fast schon körperlich erfahrbar. Leider hat sie in dieser Oper aber nur wenige Gelegenheit ihr volles Potential zur Geltung zu bringen.

Parallelen zur Gegenwart augenscheinlich. Eine scheinbare chaotische Welt lässt die Orientierungslosen und Labilen in den Schoß religiöser Gemeinschaften flüchten. Mit den Freiheiten, die ihnen das Leben bietet, wissen sie nicht umzugehen.

Auf die vermeintliche Unordnung antworten sie mit einer Todessehnsucht. Dank des Vergleichs mit dem Leiden Christi ist diese Todesliebe schon eine Form der Eitelkeit und eben das ist eine Todessünde. Bezeichnenderweise sind es gerade die eben Oberinnen, die sich vergeblich der Todessehnsucht ihrer Schützlinge entgegenstemmen.

Katharina Thoma eröffnet in ihrer Inszenierung auch eine andere theologische Sicht auf Poulencs Werk. Die Karmeliterinnen negiert die Hoffnung und sie negieren die Ausrichtung des Glaubens auf das aktuelle Leben. Damit verletzten sie zwei Pfeiler des christlichen Glaubens. Damit wird ihr Gang aufs Schafott zur Attitüde und verpufft einzig in einer erschreckenden Szene.

Auch das arbeitet diese Aufführung gut heraus. Den Nonnen geht es einzig um Symbolik, um Symbolik und um Regel. Handeln liegt ihnen fern. Deswegen scheitert der Katholizismus alter Prägung. Das Opfer ist keins, weil sich daraus keine Linderung oder Besserung ergibt.

Erst ist Blanche ganz tapfer.
Foto: Kügler
Geprägt ist diese Inszenierung von einem weiblich Dreigestirn. Das ist zum einen Zinzi Frowein in der Rolle der Blanche. Gegenpol der hysterische Adligen ist die lebenslustige Constance, die aber auch von Todesahnungen geplant wird. Doch leider ketten sich auch hier die Verzweifelten aneinander. Dennoch bringt sie den Mut auf, sich dem Todesvotum entgegenzusetzen.

Faustine de Monésgibt dieser Rolle eine wohltuende Lebendigkeit.Sie meistert den Zwiespalt zwischen Zuversicht und Defätismus großartig. Ebenso wie Frohwein ist ihr Sopran eher lyrisch und vermeidet jede Spitzen. Das passt wunderbar in dieses Werk. Es fällt überhaupt nicht ins Gewicht, dass sie erst am Vormittag als Ersatz gewonnen wurde, denn ihre internationale Erfahrung verhilft ihrem Spiel zu einer bezaubernden Leichtigkeit.

Doch treibende Kraft der Orientierungslosen wird die Schwester Maria von der Menschwerdung Christi. Carolin Schumann verkörpert ihre Entschlossenheit in fast schon beängstigender Weise. Gestus, Mimik und Stimme, alles trifft den Ton der Überzeugungstäterin, die die Schwächen der anderen für ihre Zwecke zu nutzen weiß.

Alles ist eng und geordnet. Die Beklemmungen des klösterlichen Lebens macht das klaustrophobische Bühnenbild von Sibylle Pfeiffer mehr als deutlich. Überall sind Rahmen, die nicht Halt geben sondern wie Zellen wirken. Dieses Gefängnis schleppen die Schwestern immer mit sich. Im dritten Akt bilden sie damit eine Wagenburg, doch die Wächter der Revolution haben kein Problem, diesen Ring zu durchbrechen. Doch die neue Freiheit jagt den Nonnen nur Angst ein.

Die Guillotine im letzten Bild ist der realistische Kontrapunkt im Bühnenbild. Dies ist reduziert, geradezu minimalistisch. Es gibt den Sängerinnen den nötigen Raum und bindet die Vorstellungskraft des Publikums mit ein. Selbst die Symbolik ist auf wenige Instanzen beschränkt und verzichtet Pfeiffer komplett auf ein Kruzifix.

Die „Dialogues de Carmélites“ sind keine leichte Kost und vor allem ein Statemant zu ihrer Entstehungszeit. Aber Katharina Thoma, dem Ensemble des Theater Nordhausen und dem Loh-Orchester ist es gelungen, hier neue Perspektiven zu eröffnen und diese in eine beeindruckende Aufführung umzusetzen.




Material #1: Die Dialogues de Carmèlites bei wikipedia
Material #2: Francis Poulenc bei wikipedia



Theater Nordhausen #1: Der Spielplan
Theater Nordhausen #2: Das Stück








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