Sonntag, 28. Januar 2018

Die Fallhöhe nicht deutlich erhöht

Versuch einer Neuinterpretation: „Emilia Galotti“ am Deutschen Theater

Mit diesem Stück hat Lessing einst ein neues Genre gegründet, nämlich das bürgerliche Trauerspiel. In seiner Inszenierung am Deutschen Theater versucht Maik Priebe dem Werk neue Aspekte abzugewinnen. Das gelingt aber nur zum Teil. Am Samstag war Premiere in Göttingen.

Eine junge Frau wird das Objekt fürstlicher Begierde. Sie gerät in das Räderwerk adliger Intrigen. Ihr Glück wird zerstört und die schuldlos Entehrte büßt dies mit dem Leben. Zum bösen Schluss bleiben nur eine zerstörte Familie und zerstörte Existenzen.

Bis Lessing waren Tragödien den Königen und anderen Adligen als Protagonisten vorbehalten. Die Tradition war der Meinung, dass nur diese Personen eine ausreichende Fallhöhe mitbringen damit sich das ganze Drama überhaupt lohnt. Doch der Mann aus der Oberlausitz bewies, dass auch Bürgerliche so tief fallen das es für ein Theaterstück reicht.

Kein Drama ohne Video: Marius Ahrendt schlüpft in
die Rolle der Emilia Galotti. Fotos: Birgit Hupfeld 
Lessing brachte noch eine Innovation mit. Bürgerliche Frauen und ihre Rolle in der Gesellschaft wird erstmals zum theatralischen Thema. Doch sie sind stets Opfer der Umstände und enden tödlich. Auch die Figur der Emilia Galotti ist durch Passivität geprägt. Sie wird mehr behandelt als dass sie handeln.

Für Regisseur Maik Priebe steht damit die Frage von männlicher Herrschaft und weiblicher Duldsamkeit im Vordergrund. Er kündigt an, die Dichotonie von Adel und Bürgertum durch die Thematik von Verhältnis der Geschlechter zu ersetzen. Auch wenn er die Schauspieler in die Frauenrollen versetzt und die Männerrollen von Frauen spielen lässt, symbolisiert durch den Kleidertausch von Gaia Vogel und Marius Ahrendt im Prolog, so ändert dies weder etwas am Ablauf der Handlung noch am Agieren der Protagonisten. Macht und Ohnmacht bleiben dasselbe, egal ob von Männer ausgeübt und von Frauen erduldet oder eben mal andersherum.

Priebe arbeitet die Konstante aber gut heraus. Emilia bleibt die moralische Verfügungsmasse ihres Vaters. Als allein schon der Verdacht aufkommt, sie wäre dem Werben des Prinzen erlegen, hat sie die Gunst des Erziehers verloren. Rosenblätter hin oder her, ob der Adlige die Bürgerliche defloriert, das ist so eindeutig nicht.

Nur hier tritt sie aus ihrer Lethargie hervor und bittet um den Todesstoß. Damit hat Lessing für die nächsten 200 Jahre den Weg für alle gestrauchelten Frauen vorgezeichnet: Ist die Unschuld erst mal weg, dann bleibt nur der Suizid.

Odoardo Galloti bleibt auch von Gaby Dey gespielt ein bürgerlicher Racheengel, der sich mit seinen begrenzten Mitteln vergeblich gegen das heraufziehende Unheil stemmt. Auch Marius Ahrendt legt seine Emilia als Erahnende und Erduldende an. Prinz Gonzaga bekommt durch Rebecca Klingenberg keine neue Wendung. Es sind eben Männer, die hier den Ton angeben, auch wenn sie von Frauen gespielt werden. Da gibt es kein Innehalten, sondern ab durch die Mitte ohne Rücksicht auf Verluste. Deswegen befinden sich die Darsteller fast durchweg in Alarmstimmung.

Eine Prise Empathie hätte hier wohl gut getan. Vielleicht fehlt Priebe auch der Mut zum radikalen Neudenken. Warum nicht aus der Emilia mal einen Emilio machen, aus dem Prinzen eine Prinzessin und die dann in Lack und Leder kleiden? Oder gar Emilia in Lack und Leder und mit Peitsche und dazu ein devoter Prinz?

Für die Höhepunkte sorgt am diesem Abend Gitte Reppin. Für ihren Kammerherren Marinelli erhält sie 10 Punkte auf der Yago-Skala. Mit linkischen Gesten und kleiner Körperhaltung bringt sie einen Intriganten par Excellence auf die knappe bemessene Bühne. Sie vermeidet durchweg den oberen Dezibel-Bereichen und setzt den Text leise und passend. Wie  Gift in den Kelch süßen Weins tröpfeln ihre Worte.

Moment der Entscheidung: Gräfin Orsina (links) und
Galotti treffen auf Marinelli (mitte). Foto. Hupfeld
Der stärkste Augenblick der Aufführung ist das gemeinsame Schweigen mit Gräfin Orsina, der abgelegten Geliebten des Prinzen. Roman Majewski verleiht dieser Rolle philosophische Tiefe und schrille Lächerlichkeit zugleich. Marinellis und Orsinas Duett ist der einzige Moment der Reflexion in dieser Inszenierung, alle anderen Szenen unterliegen einer tödlichen Zwangsläufigkeit. Es ist eben jene abgelegte Geliebte, die um diese Zwanghaftigkeit weiß und als Akt ihrer Rachen den tobenden Vater mit dem Dolch ausstattet.

Die Leistungen von Reppin und Majewski werden an diesem Abend vom Publikum zu Recht mit einer großen Portion Applaus bedacht.

Gefängnisatmosphäre. Ein riesiger Kubus in Sichtbeton-Optik versperrt den Blick in die Tiefe des Bühnenhauses und dazu ein brutales Licht von vorn, das nur die ersten Meter jenseits der Rampe ausleuchtet. Der Rest verschwindet im Dunkel. Gefangen in den eigenen Milieu und keine Rückzugsmöglichkeit, das soll wohl der Bühnenbild von Susanne Maier-Staufen vermitteln.

Dann dreht sich der Kubus und aus dem Monolith wird ein Labyrinth. Doch leider spielt die Aufführung dieses Thema nicht aus. Der drehende Kubus wird auf dem Verkünder einer neuen Szene reduziert, der seinerseits den Spielraum deutlich verknappt. Somit wird er vom Hingucker zum Hindernis.

Angesichts lodernder Sexismus-Debatte die Frage nach den Verhältnissen der Geschlechter zu stellen, ist notwendig. Aber die konsequente Lösung von der Vorlage gelingt Maik Priebe mit dieser Aufführung nicht. So bleibt seine „Emiia Galotti“ ein interessantes Stück über Mächtige und Intriganten und Bürgerliche, die ihnen zum Opfer fallen.





Material #1: Die Biografie von Gotthold Ephraim Lessing
Material #2: Emilia Galotti bei wikipedia


Deutsches Theater #1: Der Spielplan
Deutsches Theater #2: Das Stück





Neue Perspektiven auf Bekanntes eröffnet

Die Oper „Dialogues De Camèlites“ feiert Premiere in Nordhausen

Lange Zeit gehörte „Dialogues de Carmèlites“ zum Standardrepertoire europäischer Opernhäuser. Dann geriet das Werk von Francis Poulenc ein wenig in Vergessenheit. Am Freiheit brachte das Theater Nordhausen das Singspiel um den freiwilligen Tod von 15 Nonnen wieder auf die Bühne. Die Inszenierung von Katharina Thoma eröffnet einen neuen Blick auf eine Oper, zu der schon alles gesagt schien.

Die offensichtliche Tragik bleibt erhalten. Junge Adlige, die mit der Welt nicht klarkommt, fürchtet um ihr Leben und entsagt deshalb der Welt. Doch dann dringt die Realität in ihren kleinen Kosmos ein und sie verliert eben doch ihr Leben. Neben dieser bekannten Lesart öffnet Thoma noch einige andere Perspektiven zum Thema Religion und Revolution.

Die wichtigste Erkenntnis nach der Premiere: Der Tod der Frauen ist nicht zwangsläufig. Weil sie den Fokus von der Handlung auf die Motive verschiebt, gelingt es ihr, bekannte Deutungsmuster umzudrehen. Es gibt Alternativen und der Gang aufs Schafott ist nicht die Folge der Revolution sondern des religiösen Ehrgeiz. Das versteht Katharina Thoma fein herauszuarbeiten. Aber in Zeiten der Filterblasen stellt Thoma auch die Frage, was mit der Community passiert, wenn sie mit der Reality konfrontiert wird.

Der Titel ist richtungweisend. Die „Dialogues de Carmèlites“ ist eine Sprechoper. Im Vordergrund stehen die Gespräche über Gott und die Welt. Dies erfordert ein vorsichtiges Dirigat, um das gesprochene Wort zu Geltung kommen zu lassen. Zurückhaltung ist angesagt. Dies gelingen Michael Helmrath und dem Loh-Orchester im vorzüglicher Weise. Jedes Wort ist zu verstehen und meist ist die Musik der Teppich für die ach so bedeutungsschwangeren Sätze.

Blanche erhält letzte Instruktionen von der sterbenden
Oberin. Fotos: Kügler
Doch dann schlägt das Lamento in Sekundenbruchteilen in ein Furioso um. Die Sängerinnen und Sänger springen vom Rezitativ zur Arie über, um gleich wieder im Sprechgesang zu enden. Auch hier ist das Loh-Orchester ihnen ein guter und gleichwertiger Weggefährte. Es ist eben diese Aneinanderreihung der Rezitative, die diese Oper zur schweren Kost macht.

Mit der Dominanz rückwärtsgewandter neo-romantischer Attitüden sind die „Dialogues de Carmèlites“ ein klares Bekenntnis zur musikalischen Vergangenheit. Mal schmettern die Blechbläser und dröhnt die Schlagwerker fast schon wagnerhaft, mal zeichnen die Oboen feine Melodielinien. Auf jeden Fall verlangt Francis Poulenc den Musikern eine Achterbahnfahrt ab. Er negiert auch alles, was das frühe 20. Jahrhundert an musikalischen Neuerungen mit sich gebracht hat.

Europa hatte zwei Kriege und mehrere Diktaturen hinter sich, der größte Teil des Kontinents war unter dem Einfluss der Sowjets und der Kalte Krieg wurde immer wärmer als Poulenc diese Oper im Auftrag der Mailänder Scala schrieb. Der Franzose hatte sich schon seit Mitte der 30-er Jahre dem Katholizismus zugewendet.

Grundlage seines Librettos ist die Novelle „Die Letzte auf dem Schafott“ von Gertrud von Le Fort. Dieser wieder liegt ein Ereignis aus der Französischen Revolution zugrunde. Am 17. Juli 1794 werden in Paris 16 Schwestern aus dem Karmeliterinnenkloster vom Compiegne.

Die neue Oberin konfrontiert die Gemeinschaft mit
der Realität. Foto: Kügler
Ausgangspunkt der Oper sind die Psychosen der Blanche de la Force. Die junge Adlige wird von Ängste gejagt und sie ist überzeugt, dass sie wie ihre Mutter auch einen frühen Tod sterben wird. Um sich der irdischen Last zu entledigen wird sie gegen den Willen ihres Vater Nonne im Karmeliterinnenkloster von Compiégne.

Zinzi Frohwein spielt und singt diese Rolle glaubwürdig und eindringlich bis zur bitteren Neige. Ihre Bühnenpräsenz macht die Leiden der Blanche fast schon körperlich erfahrbar. Leider hat sie in dieser Oper aber nur wenige Gelegenheit ihr volles Potential zur Geltung zu bringen.

Parallelen zur Gegenwart augenscheinlich. Eine scheinbare chaotische Welt lässt die Orientierungslosen und Labilen in den Schoß religiöser Gemeinschaften flüchten. Mit den Freiheiten, die ihnen das Leben bietet, wissen sie nicht umzugehen.

Auf die vermeintliche Unordnung antworten sie mit einer Todessehnsucht. Dank des Vergleichs mit dem Leiden Christi ist diese Todesliebe schon eine Form der Eitelkeit und eben das ist eine Todessünde. Bezeichnenderweise sind es gerade die eben Oberinnen, die sich vergeblich der Todessehnsucht ihrer Schützlinge entgegenstemmen.

Katharina Thoma eröffnet in ihrer Inszenierung auch eine andere theologische Sicht auf Poulencs Werk. Die Karmeliterinnen negiert die Hoffnung und sie negieren die Ausrichtung des Glaubens auf das aktuelle Leben. Damit verletzten sie zwei Pfeiler des christlichen Glaubens. Damit wird ihr Gang aufs Schafott zur Attitüde und verpufft einzig in einer erschreckenden Szene.

Auch das arbeitet diese Aufführung gut heraus. Den Nonnen geht es einzig um Symbolik, um Symbolik und um Regel. Handeln liegt ihnen fern. Deswegen scheitert der Katholizismus alter Prägung. Das Opfer ist keins, weil sich daraus keine Linderung oder Besserung ergibt.

Erst ist Blanche ganz tapfer.
Foto: Kügler
Geprägt ist diese Inszenierung von einem weiblich Dreigestirn. Das ist zum einen Zinzi Frowein in der Rolle der Blanche. Gegenpol der hysterische Adligen ist die lebenslustige Constance, die aber auch von Todesahnungen geplant wird. Doch leider ketten sich auch hier die Verzweifelten aneinander. Dennoch bringt sie den Mut auf, sich dem Todesvotum entgegenzusetzen.

Faustine de Monésgibt dieser Rolle eine wohltuende Lebendigkeit.Sie meistert den Zwiespalt zwischen Zuversicht und Defätismus großartig. Ebenso wie Frohwein ist ihr Sopran eher lyrisch und vermeidet jede Spitzen. Das passt wunderbar in dieses Werk. Es fällt überhaupt nicht ins Gewicht, dass sie erst am Vormittag als Ersatz gewonnen wurde, denn ihre internationale Erfahrung verhilft ihrem Spiel zu einer bezaubernden Leichtigkeit.

Doch treibende Kraft der Orientierungslosen wird die Schwester Maria von der Menschwerdung Christi. Carolin Schumann verkörpert ihre Entschlossenheit in fast schon beängstigender Weise. Gestus, Mimik und Stimme, alles trifft den Ton der Überzeugungstäterin, die die Schwächen der anderen für ihre Zwecke zu nutzen weiß.

Alles ist eng und geordnet. Die Beklemmungen des klösterlichen Lebens macht das klaustrophobische Bühnenbild von Sibylle Pfeiffer mehr als deutlich. Überall sind Rahmen, die nicht Halt geben sondern wie Zellen wirken. Dieses Gefängnis schleppen die Schwestern immer mit sich. Im dritten Akt bilden sie damit eine Wagenburg, doch die Wächter der Revolution haben kein Problem, diesen Ring zu durchbrechen. Doch die neue Freiheit jagt den Nonnen nur Angst ein.

Die Guillotine im letzten Bild ist der realistische Kontrapunkt im Bühnenbild. Dies ist reduziert, geradezu minimalistisch. Es gibt den Sängerinnen den nötigen Raum und bindet die Vorstellungskraft des Publikums mit ein. Selbst die Symbolik ist auf wenige Instanzen beschränkt und verzichtet Pfeiffer komplett auf ein Kruzifix.

Die „Dialogues de Carmélites“ sind keine leichte Kost und vor allem ein Statemant zu ihrer Entstehungszeit. Aber Katharina Thoma, dem Ensemble des Theater Nordhausen und dem Loh-Orchester ist es gelungen, hier neue Perspektiven zu eröffnen und diese in eine beeindruckende Aufführung umzusetzen.




Material #1: Die Dialogues de Carmèlites bei wikipedia
Material #2: Francis Poulenc bei wikipedia



Theater Nordhausen #1: Der Spielplan
Theater Nordhausen #2: Das Stück








Sonntag, 7. Januar 2018

Wahrlich ein Monumentalwerk

Die Bibel als Drama im Theater Nordhausen

Das Theater Rudolstadt zeigt die Bibel und das ist schon Ben Hur für die Bühne. Mit 225 Minuten liegt das aberwitzige Unternehmen sogar noch 3 Minuten über den Filmklassiker von 1959. Aber keine Angst, diese Inszenierung ist alles andere als aufgewärmtes Sandalenkino. Regisseur Alejandro Quintana schafft es, antike Hintergründe und Zusammenhänge deutlich zu machen, die zum Teil heute noch wirken. Dabei macht er es dem Publikum und dem Ensemble nicht immer einfach.

Der Einstieg ist noch leicht verdaulich. Das Licht wird eingerichtet. Der Ton vorbereitet. Ein paar Männer gehen kreuz und quer über die Bühne. Für sie ist die Erschaffung quasi wie eine Theaterprobe. Diese Szene hat noch einen gewissen Witz.

Es ist ein aberwitziges Unterfangen, die Bibel auf die Bühne zu bringen bringen. Der Autor Niklas Rådström bewältigt dieses Monument indem er das Buch in 41 Szenen zerlegt, die er für wegweisend und andauernd hält. Eine Glaubens- und Geschichtsrevues. Das Theater Rudolstadt ist mit der deutschsprachigen Erstaufführung durchaus ein Risiko eingegangen.

Am Anfang war die Erkenntnis, dann kam der
Sündenfall.           Alle Fotos: Theater Rudolstadt
Die Inszenierung von Alejandro Quintana beeindruckt zuerst durch Superlative für mittelthüringische Verhältnisse. 20 Schauspielerinnen und Schauspieler bewältigen 114 Rollen. Einige haben sogar das Vorrecht, bleibende Punkte zu setzen.

114 Rolle und 41 Szenen ist natürlich auch eine Herausforderung an das Bühnenbild. Mit Reduktion ermöglicht es Mathias Werner, sich auf das wesentliche zu konzentrieren und die Worte wirken zu lassen und Text hat dieses Drama jede Menge zu bieten, manchmal gar zu viel. Es gibt durchaus Potential, dieses WErk zu straffen.

Wird der Sündenfall, das Naschen vom Bam der Erkenntnis noch zum kurzweiligen philosophischen Disput über den Zusammenhang von Erfahrung, Wissen und Gotteskonstrukt so bietet die Erschaffung von Mann und Frau noch Platz für theologische Abwägungen. Aber über weite Strecken schimmert doch der Konfirmandenunterricht durch. Da gibt es durchaus noch dramaturgisches Potential.

Auch wenn nicht jede einzelne Szene eine tragende Funktion hat, so bietet diese Inszenierung einen roten Faden. Der lautet vor allem Gewalt. Schonungslos geht Quintana mit den immer wiederkehrenden Themen Berufung, Auserwählt-Sein, Eroberung, Vertreibung und Vernichtung. Und dann ist dann immer wieder das Motiv der Flucht, des Heimat verlierens. Das geht bis heute so weiter.

Immer auf der Flucht. Foto: 
Dabei kommt dem jüdischen Volk durchaus ach die Rolle des Täters zu. Selbst Moses wird in seinem Zorn zum Massenmörder. Schon bald wird deutlich, dass Autor und Regisseur hier die Wurzeln für den Nahost-Konflikt sehen. Das ist nicht die einzige Stelle, an denen die Historie in Gegenwart und Zukunft weist. Die unheilvolle Verquickung von Religion und Politik wird immer wieder in den Vordergrund und damit in Frage gestellt.

Der Bund zwischen dem Gott und seinem Volk muss immer wieder erneuert und mit Blut besiegelt werden. Damit wird der Paradigmenwechsel mit dem Neuen Testamen umso tiefer. Dieser Zusammenhang zu verdeutlichen, dies ist die Leistung dieser Inszenierung.

In seiner schonungslosen Auseinandersetzung mit der Bibel geht Quintana dabei auch an die Grenzen des guten Geschmacks. Moses Abschied als monumentale Rede mit faschistoiden Anklängen zu inszenieren, das ist durchaus mutig. Oder geschmacklos.

Quo vadis, Theater? Wohl offensichtlich in viele Richtungen, denn in dieser experimentierfreudigen Inszenierung setzt Alejandro Quintana auf die Vielfalt modernen und zeitgemäßen Theaters. Sprechtheater reiht sich neben Ballett und Figurentheater und Pantomime. Das ist durchaus gelungen und überzeugt durch den Einfallsreichtum.

Den brennenden Busch bei der Berufung Moses in ein Radio zu verwandeln, das hat durchaus einen gewissen Witz. Auch mal die Tiere auf Noah Arche zu Wort kommen zu lassen, das hat was. Adam und Eva in einen ehelichen Disput zu verwickeln überzeugt, weil es über den Tag hinausweist. Die babylonische Gefangenschaft als Konsumwahn zu symbolisieren, das ist offene Gegenwartskritik.

Die Inszenierung hat einen eigenen Erzählrhythmus. Hektik wechselt sich ab mit lyrischen Momenten der Einhalt. Gewalttätigkeit wird mit Verzweifelung kontrastiert. Den Massenszenen stehen prägnante Solo-Auftritt gegenüber. Dazu gehört sicherlich der Monolog von Lots Frau. Ute Schmidt sorgt hier für die Momente des gebannten Zuhörens. Leider sind diese Augenblicke in dieser Aufführung selten. Das Ensemble bewegt sich oft an der oberen Grenze des stimmlich Möglichen.
So sieht Berufung aus: Der Empfänger brennt.

Die wiederkehrenden Auftritte von Adam und Eva sind die dramaturgische Klammer. Sie erinnern stets an den Urzustand des in die Welt geworfen. Sie verlieren sich, denken aneinander und finden sich auf unterschiedliche Weise neu. Anne Kies als Eva beziehungsweise als Frau und Johannes Geißer als Mann beziehungsweise Adam bleiben die prägende Kombination an diesem Abend.

Ansonsten hat Quintana die tragenden Rollen dem bewährten Personal überlassen. Markus Seidensticker darf als engelhafter Conferencier durch die Vorstellung führen. Gewalt und Witz meistert er gleichermaßen. Matthias Winde glänzt als Moses und Joachim Brunner als General. Verena Blankenburg kann als Elisabeth Akzente setzen. Hans Burkia präsentiert einen Noah, der ganz diesseitig ist und Spaß am Leben hat.

 Die Bibel auf die Bühne zu bringen ist ein aberwitziges Unterfangen. Mit dieser Inszenierung haben das Theater Rudolstadt und der Regisseur Alejandro Quintana es gewagt. Es ist ihnen zum größten Teil mehr als gelungen. Es bleiben Gespräcjsbedarf und jede Menge eindrucksvolle Bilder.





Material #1: Sandalenkino

Theater Nordhausen #1: Das Stück
Theater Nordhausen #2: Der Spielplan


Theater Rudolstadt #1: Der Spielplan
Theater Rudolstadt #2: Das Stück

Der Autor #1: Niklas Rådström bei wikipedia