Montag, 27. November 2017

Aus Freude am Verbrechen und am Spiel

Zwei wie Bonnie und Clyde im hoftheater

Das nennt mal wohl "Wie auf dem Leib" geschrieben. Im hoftheater läuft die Gaunerkomödie "Zwei wie Bonnie und Clyde" und nicht nur Petra Döring-Menzel und Dieter Menzel haben offensichtlich viel Spaß.  Die Inszenierung von Jürgen Kramer überzeugt durch die gelungene Mischung aus Slapstick, Wortwitz und feine Beobachtung. So entwickelt sich rasantes Spiel auf engsten Raum.

Eigentlich sind Manni und seine Rosa alles andere als ein erfolgreiches Gangsterpaar. Er überambitioniert, sie ein wenig vertrottelt. Diese Kombination funktioniert seit Laurel und Hardy und ist immer ein Garant für Fehlschläge und deswegen für Lacher.

Gerade haben sie vermeintlich einen großen Coup gelandet. Schicht für Schicht legen Rosa und Manni Patzer um Patzer frei, bis der der große Traum vom sorglosen Leben geplatzt ist. Damit ist der Streit vorprogrammiert. Das Publikum ist ihnen dabei immer einen Schritt voraus und darin besteht der besondere Reiz dieser Art von Komödien. Der Lacher ist immer eine halbe Sekunde vor dem Gag da. Schließlich bereitet es einen eine diebische Freude, anderem beim Zanken zuzusehen.

Aber die Professionalität, die Petra Döring-Menzel und Dienter Menzel dabei an den Tag legen, ist schon bewundernswert. Da wirkt nichts albern, die Aufführung bleibt beruhigend weit vom Klamauk weg. Die Stimmen passen zur Mimik, die Mimik zu den Gesten und die wiederum zur Stimme. Weil die Andeutungen deutlich werden, deswegen sind die Lacher eben schon eine halbe Sekunde vor dem Gag da.

Zum Anfang ist Rosa unten und Manni obenauf.
Foto: B. Menzel
Zum einen sind die beiden die Experten für Beziehungskrisen. Das haben sie schon mit der Zimmerschlacht gezeigt. Zum anderen verfügen sie durchaus über reichlich komödiantisches Talent. Erstes wird schon beim Streit in der Rücken-an-Rücken-Szene im ersten Akt deutlich. Im verbalen Ping-Pong-Verfahren werfen sie sich über die Schulter die Schuldzuweisungen zu. Das ist nicht nur urkomisch sondern auch realitätsnah. Auch nicht-kriminelle Pärchen dürften sich hier wieder erkennen.

Es ist ist ein komödiantisches Talent, dass sich am Wortwitz und den Haarspaltereien eines Loriots orientiert. Obwohl im kriminelle Milieu angesiedelt verzichtet die Inszenierung von Jürgen Kramer auch Zoten. Trotzdem bleiben die die Wortgefechte so lebensnah, dass das Publikum aus der eigenen Erfahrung mitsprechen könnte.

Das Paar-Gefüge ist denkbar einfach: Er der oberschlaue Kleinstadtganove, sie die leicht trottelige Nervensäge. Zusammen sehen sie sich als die Fortführung von Bonnie und Clyde, jenem legendären Verbrecherduo, dass einst die ganzen USA in angst und Schrecken und Faszination versetzte.

Doch mit Kleinigkeiten lässt Rosa seine hochfliegenden Träume immer wieder am Boden zerschellen. Mit vielen Lachern wird so Gangster Manni dekonstruiert ohne dass das Publikum solch einen Begriff wie Dekonstruktion verstehen müsste. Die Eugen und die Olsen-Bande lassen grüßen.

Alles was es zu sehen bekommt, ist eine zwerchfellerschütternde Generalprobe eines Banküberfalls. Manni schreitet voran zur Tat und Rosa ihm hinterher. Es ist klar, dass das nicht gut gehen, dass etwas dazwischen kommen muss. Es ist nur die Frage, was wird es denn dieses Mal sein wird. Das Murmeltier grüsst hier gleich mehrmals täglich und darin liegt der Erfindungsreichtum dieser Inszenierung. Dieser Reichtum verträgt durchaus ein mehr als zweistündige Aufführung.

Aber selbst dort, wo die Inszenierung auf bekannte Versatzstücke baut, wirkt sie frisch und rasant.  Szenen wie das Schuhkarton-Verwechsel-Spiel hat man schon dutzendfach gesehen. Trotzdem fiebert das Publikum mit und fragt sich, wo der Karton mit Geld zum guten Schluss landen wird. Auf jeden Fall nicht dort, wo Manni ihn gern hätte.

Petra Döring-Menzel spielt nicht die Rosa, sie ist es. Da mag man fast glauben. Auf jeden Fall gibt sie diesere Figur jede Menge Unbedarftheit und kleinmädchenhaften Charme. Für die Geduld mit Manni bewundert man sie und fragt sich, wo hier die Grenze zwischen Naivität und Berechnung liegt. Auf alle Fälle gönnt man ihr den Triumph zum Schluss, denn manchmal muss auch Dummheit belohnt werden.

Erst zum Schluss zeigt Manni sein wahren Gesicht.
Foto: B. Menzel
Dieter Menzel ist großartig in der Rolle des Manni. Das Spiel mit der Stimme und die Gestik dazu liegt weit über dem, was man an solch einer Bühne erwartet. Er ist auch für die Akrobatik zuständig und gibt der Inszenierung eine Menge Tempo. Sein Slapstick zum Auftakt beim Erkunden des Verstecks verbindet die Elemente der Pantomime mit dem Moonwalk Michael Jacksons und den Verrenkung eines John Cleese.

Menzel macht den Kleinganoven zum Kleinbürger, der sich deutlich und immer wieder überhebt mit dem, was er sich so vornimmt. Auch wenn er die Pose des Napoleon übt, der große Coup ist mehr als eine Nummer zu groß für ihn. Da ändern auch Planungen im Generalstabs-Gehabe nichts.

Die Nichtigkeit seiner Person kehrt er in Überheblichkeit Rosa gegenüber um. Da werden Assoziationen zu "Ekel Alfred" und "Dusselige Kuh Else" geweckt. Deswegen hat man auch kein Mitleid, als Manni sein Waterloo erlebt.

Das Bühnenbild von Benjamin Menzel ist einfach und überzeugend. Es verzichtet auf Schnörkel und spricht eine eindeutige Sprache. Mit seinen Anregungen denkt sich auch der Komödienbesucher die fehlenden Teile dazu.

Es korrespondiert gut mit dem Licht, das eine tragende Rolle in dieser Aufführung spielt. Sofern es die beengten Verhältnisse es zu lassen, teilt das Licht die Bühne in unterschiedliche Zonen auf und wird selbst zum Handlungsträger. Das beginnt gleich in der ersten Szene mit dem Wanken durch das Dunkel und Rosas anschließendem Lichtflecken-Tanz

Zum lockeren Spiel mit den Versatzstücken der Pop-Kultur gehört auch die Musik. Sie entstammt der goldenen Rififi-Ära der 60-er Jahre und rundet das gelungene Gesamtbild stimmig ab.





Material #1: Das hoftheater bei Facebook
Material #2: Der Spielplan im hoftrheater
Material #3: Die Zimmerschlacht im hoftheater

Material #5: Die Vita von Jürgen Kramer

Material #6: Bonnie & Clyde, das Original





Donnerstag, 9. November 2017

Nur im Ansatz gelungen

Hohe Ansprüche: "1984" am Theater für Niedersachsen 

Big Data ist Big Brother. Unter diesem Leitsatz inszenierte Reiner Müller am Theater für Niedersachsen die Bühnenfassung von Orwells Klassiker "1984". Doch die Premiere am Sonnabend zeigte, dass die eigenen Ansprüche nur teil umgesetzt werden konnten. Der Aktualitätsanspruch fehlt über weite Strecken.Es bleibt die Darstellung eines totalitären Staatsapparates.

Die Anbindung sind die Jetztzeit sind ja da. Das Bühnenbild von Eva Humburg strotz nur so vor Computern und Bildschirmen. Bildschirme als Möbel, als Hocker, als Kletterhilfe, als Lebensinhalt. Die Blaumänner im Hoodie-Look mit modischen Sneakern verweisen auf Jetzt-Eben-Gerade. Das war es dann auch schon erst mal mit der Aktualität. Die Bezüge zu Big Data bleiben vorerst ein Versprechen, das nur zaghaft eingelöst wird.

Total fit und entspannt in die Hass-Woche.
Foto: TfN/Westhoff
Die Inszenierung von Reiner Müller ist eher die Entdeckung der Langsamkeit auf dem Datenhighway. Immer wieder sind dort Lücken im Textfluss, Pause reiht sich an Pause, Auftreten und Abtreten ist die einzige Bewegung und die Protagonisten stehen nur herum. Wenn Parsons zum wiederholten Male von den Heldentaten seines Sohnes berichtet, dann grüßt wenigstens das Murmeltier. Oder ist es der Total Recall?

Das ersten Aufeinandertreffen von Winston und Julia ist sogar noch einer überraschenden Lyrik geprägt. Fast möchte man mit dem Liebespaar träumen. Die junge Mutter an der Wäscheleine wird später noch einmal solch lyrische Momente erzeugen

Das ist völlig anders als erwartet. Es gibt dem Zuschauer aber die Zeit, seinen Assoziationen und Vergleichen freien Lauf zu lassen. Somit kann jeder seine Parallelen zwischen Orwells Neusprech und den aktuelle Sprachverzerrungen durch PC und Gute-Laune-Kultur ziehen.

Erst nach der Pause nimmt die Inszenierung an Fahrt auf und das Geschehen beschleunigt sich.  Müller und Humburg schaffen es bis dahin, erschreckende, eindringliche Bilder zu produzieren. Da ist die Erschießung vor laufender Kamera. Die Gefangenen mit Tüte auf dem Kopf rufen Erinnerungen an Abu Graib wach. Als das Kind mit dem Finger die Ränge und das Parkett abfährt und das Publikum warn "Big Brother is watching you", da stockt kurz der Atem.

Denunziantentum ist keine Altersfrage und man muss auch vor denen in Acht nehmen, die man bisher für unschuldig und schutzlos hielt. Das System der Bespitzelung kehr somit die Verhältnisse um.  Der Kleine und Schwache muss sich nur an den Großen Bruder hängen.

Gut herausgearbeitet sind auch die Gruppenprozesse in der Hass-Woche. Auf der Bühne geschieht dies analog, doch es wird klar, dass ähnliche Prozesse in der digitalen Welt tagtäglich so ablaufen. In der Gruppe ist der Einzelne viel leichter zu manipulieren.

Nach der Pause nimmt das Tempo zu. Das harte Regime wird immer wieder mit den Bildern der vermeintlichen Idylle in Charringtons Hinterhof kontrastiert. Die Vergangenheit wird zum Zukunftsentwurf weil die Gegenwart so grausig. Doch die Idylle ist inszeniert und bei Orwell steckt jede Menge Matrix drin.

Big Brother is watching you.
Foto: TfN/Westhoff
Was aber bleibt, das sind die schockierende Darstellung  der Folter und der erneute Anklang an die bilder aus Abu Graib.

Moritz Koch wirkt in der Rolle der Hauptfigur Winston seltsam gehemmt. Seine Gestik ist an diesem Abend steif, gleich gilt für die Sprache. Er ist nicht in der Lage, eine Beziehung zu den anderen Darstellern herzustellen. Das ist wohl Absicht, sollte als diese aber besser gekennzeichnet werden.

Martin Schwartengräber in der Rolle des Mitläufers Parsons wirkt da echter, echter als begeisteter Vater eines Jungdenuzianten und echter als Verratener und als Delinquent. Totalitäre Systeme zereißen auch Banden, die man für natürlich hielt. Der Eltern-Kind-Verhältnis wird umgekehrt.

 In der Rolle der Julia bringt Katharina Wilberg einen Hauch Menschlichkeit in das Stück ein. Sie macht glaubhaft, das Julia im Gegensatz zu Winston eher aus Eigeninteresse rebelliert. Den hehren Zielen Winstons setzt sie








TfN #1: Der Spielplan
TfN #2: Das Stück

Orwell #1: Soldat im spanischen Bürgerkrieg
Orwell #2: Das Buch
Orwell #3: Die Bühnenfassung