Sonntag, 16. Juli 2017

Sterne verbrennen im Liebesfieber

Die Wahlverwandtschaften in Hall auf das Nötigste reduziert

Goethe ist schon schwerer Tobak. Aber man kann ihn auch verdaulich gestalten. Das beweist Caroline Stolz mit ihrer Inszenierung der Bühnenfassung von Gunter Heun. Dabei kommen beide ohne Modernismen aus und schaffen doch ein Stück mit Aussagekraft.

Die wichtigste Reduktion liegt in der Konzentration auf die vier Handlungsträger. Alle Randfiguren wurden entfernt und nur Eduard, Charlottte, Otto und Ottilie betreten die kreisrunde Bühne. Ist sie eine Arena, der Schauteller einer Etagere oder ein Liebeskarussel? Mehrere Deutungen sind zulässig und machen auch Sinn.

Mit der Ankunft des Hauptmanns Otto (Dirk Weiler, rechts)
gerät die Ordnung durcheinander. Alle Fotos: J. Weller
Auf jeden Fall wirkt das reduzierte Bühnenbild von Martin Dolnik faszinierend. Er lässt das Publikum in der Innere einer Spieluhr schauen. So wird bildhaft, dass  das weitere Geschehen einer sozialen Mechanik folgt. Oder einer naturgesetzlichen Zwangshaftigkeit, wie Goethe im Rückgriff auf den Chemiker Torbern Bergmann selbst anführte.

Passend dazu bewegen sich die Darsteller am Beginn des Stück wie die Puppen einer solchen Spieluhr. Abgehakt und unnatürlich und immer auf vorgegebenen Bahnen. Dazu sind alle Darsteller übertrieben geschminkt wie es  die Puppen des Biedermeiers es eben waren.

Damit greifen Stolz und Dolnik mehrere Versatzstücke aus dem frühen 19. Jahrhundert auf, um den gesellschaftlichen Rahmen und den Geist der Zeit zu verdeutlichen.Sie verzichten in ihrem klaren Konzept auf jegliche Modernismen. Selbst die Sprache ist der gestelzten Vorlage Goethes verhaftet.

Auch die Garderobe verbleibt im Biedermeier. Sie sieht nur eben recht abgerockt aus. Damit ist klar, dass hier eine Schicht schon bessere Zeiten gesehen hat und ihren Zenit deutlich überschritten hat.

Noch ist die Freundschaft von Eduard (hinten) und Otto
ungetrübt.         Foto: Jürgen Weller
Dann wird die Starre aufgelöst. Gunter Heun in der Rolle des Eduards gerät in einen Redeschwall und die Handlung nimmt Fahrt auf. Heun und Stolz erwecken die Wahlverwandtschaften schlagartig aus ihrem biedermeierlichen Dämmerschlaf. Mit dem Entschluss, den Jugendfreund des Barons für längere Zeit aufzunehmen, begeben sich Charlotte und ihr Gatte auf eine emotionale Schussfahrt, die nach der moralischen Logik des 19. Jahrhunderts unweigerlich in der Katastrophe enden muss.

Wer will, kann in diese Inszenierung durchaus moderne Zeiten hineinlesen. Denn mit der Aufnahme von Charlottes Mündel Ottilie entsteht der Urtyp der Patchwork-Familie. Vor diesem Hintergrund wird erst deutlich, welch Wohltat die Befreiung vom moralischen Imperativ im 20. Jahrhundert bedeutet.

Fein herausgearbeitet hat Caroline  Stolz die tiefe Ironie des Werks. Voller Tatendrang versucht Otto Struktur in das Leben und Wirtschaften seines müßiggängigen Freundes Eduard zu bringen. Der Hauptmann vermisst und kartografiert und plant und verdeutlicht. Aber gerade bringt damit die gewachsene Ordnung im Landschloss durcheinander. ZUm Schluss sind alle Sterne dere Hoffnung vom Himmel gefallen.

Im Zentrum des Geschehen steht Eduard und von Gunter Heun wird er wunderbar passend und auch allumfassend dargestellt. Von leise bis laut, von todtraurig bis albern, von raumgreifend bis nuanciert, von expressiv bis introvertiert, er beherrscht alles und kann es vermitteln. Damit ist Heun vielleicht der kompletteste Darsteller bei den diesjährigen Freilichtspielen.

Auf dieser Basis zeichnet er ein umfassendes Bild des eher ziellosen Adligen Eduard, inklusive seiner Gemütsschwankungen. Damit bringt Heun auch Eduards Aufwachen aus der Lethargie bei Ottilies Eintreffen glaubwürdig auf die Bühne.

Als der Hauptmann der Schlossherrin seine Liebe gesteht,
ist es zu spät.
Dennoch bleibt genug Raum für die Kollegen und wenn Heun der Fachmann für die Alpha-Männchen ist, dann ist Dirk Weiler der Experte für die schwierigen Charaktere. Manchmal steht ihm die Verklemmtheit ins Gesicht geschrieben. Manchmal scheint, dass der Text nicht so recht aus ihm heraus will, dass er sich nicht traut, das zu sagen was gesagt werden muss und deshalb kann er ihn nur über schmale Lippen herauspressen.  Damit ist er genau der Richtige für den Hauptmann, der nicht aus seiner Haut kann.

Heun und Weiler kontrastieren und ergänzen sich wunderbar. Mit diesem beiden Polen ist eine kongeniale Besetzung gelungen, die die verschiedenen Seiten der menschlichen Verwerfungen auslotet.

Alice Hanimyan braucht hingegen erst ein wenig, bis sie in das Fahrwasser findet. Ihre Ottilie ist in den ersten Sequenzen so sehr auf rotzfrech angelegt, dass man wünscht, auch die Biedermeier hätten schon Ritalin gekannt. Dafür ist ihre Wandlung zur ehrlich Liebenden und dann zur abgrundtief Verzweifelten um so schöner. Das geht zum Schluss richtig ans Herz.

Mit Silke Buchholz in der Rolle der Schlossherrin Charlotte gibt es auch hier einen ergänzenden Kontrast. Neben all den Hormonverwirrten gibt sie ruhig und äußerlich gelassen den Fels in der Brandung.

Goethe ist schon schwerer Tobak. Aber wenn er so dargereicht wird, dann hofft man, dass die Wahlverwandtschaften möglichst bald ihren Weg aus dem Theaterzelt der Freilichtspiele auf eine reguläre Bühne finden.







Veranstalter #1: Die Freilichtspiele Hall
Veranstalter #2: Das Stück

Thema #1: Die Wahlverwandtschaften bei wikipedia




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