Montag, 22. Mai 2017

Das ist wohl allerfeinste Sangeskunst

Das Ensemble 1700 zeigt Lucio Cornelio Silla als szenische Darstellung

Das ist wahrlich ein Kontrastprogramm. Nach der Premiere des bombastischen "Lotario" gab es am Samstag bei den Händel-Festspielen die Oper "Lucio Corneli Silla" als szenische Darstellung. Das Ensemble 1700 unter der Leitung von Dorothea Oberlinger und die sieben Sängerinnen und Sänger glänzten mit Tonkunst der allerfeinste Art.

Eine Festspieloper mit Glanz und Gloria im Großen Haus des Deutschen Theaters und eine reduzierte Oper in der Stadthalle. Kann das überhaupt aufgehen? Machen sich die Festspiele dabei nicht selbst Konkurrenz. Nein, es geht auf, denn diese Konzept bedient zwei unterschiedliche Aspekt des Musiktheaters.


Die nüchterne Atmosphäre der Stadthalle und der Verzicht auf ein Bühnenbild ermöglichen die volle Konzentration auf die Musik. Für dieses Händel-Destillat ist das Ensemble 1700 wie geschaffen. Die 15 Musiker haben viel Spaß an ihrem Schaffen und diesen Spaß können sie von der ersten Minute an vermitteln. Der Funke springt sofort über auf das Publikum.

Anna Dennis als Metella.
Alle Fotos: tok
Nachdem Dorothea Oberlinger bereits vor zwei Jahren als Flötistin im Eröffnungskonzert begeistern konnte, hat sie mit einer herausragenden Leistung auch als Dirigentin überzeugt. Es bleibt zu hoffen, dass sie den Festspielen weiterhin im Zwei-Jahres-Rhythmus treu bleibt.

Der Kontrast zwischen den üppigen Kostümen in barocken Stil, den steifen Gesten der Entstehungszeit und der nüchternen Kulissen vor den schwarzen Vorhängen der Stadthalle wirt anfangs etwas befremdlich. Doch so hat das Publikum die Möglichkeit zu erkennen, was authentisch ist und was moderne Zutat. Mit dem Wegfall eines Bühnenbildes und einer Choreographie rückt der Gesang in den Mittelpunkt. So kommt die Aufführung der Idee der reinen Musik ein gehöriges Stück näher.

"Lucio Cornelio Silla" ist ein Frühwerk von Händel, über dessen Entstehung wenig bekannt ist. Die Oper dürfte etwa 1713 entstanden sein. Der junge Komponist probiert hier alle Elemente einer Opera seria aus. Es geht ihm vor allem um das Verhältnis zwischen Sängern und Musiker. Gleich zweimal lässt er Gesang und Instrumente in einen direkten Dialog eintreten.

So am Ende des ersten Aktes als Claudio mit der Posaune kommuniziert, sich beide gegenseitig anfeuern und sich in schwindelerregende Höhen steigern. Der donnernde Applaus ist der verdiente Lohn. Aber auch für den Titelhelden hat der Komponist in der zweiten Szene des zweiten Akts ein Duett mit den Holzbläsern parat.

Flavia und Lepido sind ein Paar.
Überhaupt dominieren die Holzbläser diese Oper. Das verleiht ihr ein weiches Klangbild, dass im deutlichen Kontrast zum wenig lieblichen Libretto steht. Die kleine Besetzung wirkt angenehm zurückgenommen und lässt den Sängern und Sängerinnen ausreichend Platz.

Ansonsten ist Lucio Cornelia Silla eine Oper, die ein wahres Feuerwerk an Koloraturen abfeuert und damit höchste Ansprüche an die Sängerinnen und Sänger stellt. Wie gesagt, Händel wollte ausprobieren, was machbar ist.

Es ist ein Werk für einen Gott, fünf Menschen und einen Menschen, der sich für einen Gott hält. Als Gott Mars hat Bariton Thomas Hansen nur zwei kurze Auftritte, so dass er sich nicht weiter auszeichnen kann.

Die Rolle des Diktator Silla, der sich für einen Gott hält, hat Dmitry Sinkovsk. Leider braucht der Countertenor eine Weile, bis er in die Oper findet. Zu Beginn des ersten und zu Beginn des zweiten Aktes wackelt er in der Stimme deutlich. Doch zum guten Ende nimmt ihn Anna Dennis in der Rolle seiner Gattin an die Hände und beide zaubern ein atemberaubendes Duett in die die Stadthalle.

Helena Rasker glänzt als Claudio.
Überhaupt ist Anna Dennis wieder einmal ein verlässliche Größe bei den Göttinger Händel-Festspielen. Ihre Weltklasse ist an diesem Abend die Basis für eine beeindruckende Leistung und eben jenes Feuerwerk an Koloraturen.

Der andere Pol in dieser szenischen Aufführung ist Helena Rasker in der Rolle des Silla-Kontrahenten Claudio. Ohne Frage hat die Altistin genug Volumen für Männerrolle und auch genug Dynamik. Die kann den Wut und den Zorn des enttäuschten Weggefährten beeindruckend vermitteln und wird zum Schluss mit einem Beifallssturm belohnt.

Doch die Stärke dieser Oper ist die Ausgeglichenheit der Sängerinnen und Sänger. Oberlinger hat nicht nur ein glückliches Händchen bei der Besetzung sondern eben wohl auch klar Vorstellungen von einem gelungenen Gesamtbild. Das Göttinger Publikum konnte sich damit überzeugen.





Händel-Festspiele #1: Die Website
Händel-Festspiele #2: Das Ensemble 1700


Händel Werke #1: Silla bei wikipedia




Sonntag, 21. Mai 2017

Bombastische Bilder und Belcanto

Lotario  bei den Händel Festspielen in Göttingen

Opulente Bilder, ein Festspielorchester auf Weltniveau, exzellente Solisten und ein mächtiges Bühnenbild. Das ist Lotario, die diesjährige Oper bei den Händel Festspielen in Göttingen. Nach dem Motto "Erwartungen weit übertroffen" gab es am Freitag bei der Premiere im Deutschen Theater "standing ovations".

Es ist durchaus mutig, Lotario auf den Spielplan der Festspiele zu setzen. Die Oper gilt als eines der schwächeren Stücke von Händel. Sie ist ein Produkt der Händelschen Krisenzeit, die das Theater der Nacht im letzten Jahr mit "Händels Hamster" so genüsslich aufbereitet hat. Das Londoner Publikum hat sie seinerzeit schlicht und einfach durchfallen lassen.

Es zeugt von einem gesunden Selbstbewusstsein, wenn sich Regisseur Carlos Wagner dieses selten gespielten Stücks annimmt. Der Mut wird belohnt und für den Erfolg bei der Premiere sind viele Komponenten verantwortlich.

Berengario ist nur ein Sieger auf Zeit.
Alle Fotos: Veranstalter
Da ist zuerst das Festspielorchester Göttingen, dem David Staff schon vorab Weltklasse bescheinigt hatte. Unter der Leitung von Laurence Cummings bestätigt es diese Vorschusslorbeeren. Auch wenn man das Libretto als schwach bezeichnen muss, so befindet sich Händel bei der Komposition durchaus auf einen Höhepunkt seines säkularen Schaffen. Er zieht alle Register der Tonsetzerkunst und vielleicht auch ein oder zwei zuviel.

Gerade im ersten Akt reiht sich ein Volte an die andere, Motive werden angedeutet und dann schnelle durch andere ersetzt. Dies ist schon in der Ouvertüre deutlich als die zarten Streicher vom heroischen Blech übertönt werden. Wunderbar, wie Cummings und sein Orchester diese Übergänge bewältigen. Nahtlos nennt man so etwas in der Metallverarbeitungskunst. Trotzdem gibt das Festspielorchester jeder Passage einen eigenen Charakter.

Der Vorhang öffnet sich und gibt dem Blick auf ein beeindruckendes Bühnenbild frei. In zwei Etagen türmen sich die Elemente eines barocken Palastes. Kontrastiert wird der erste Eindruck durch das umlaufende Baugerüst. Die Unordnung auf der Spielfläche lässt eine Assoziation mit Herrscherpracht erst gar nicht zu.  

Erst wirkt die Arbeit von Rifail Ajdarpasic wie ein Schauspielverhinderungsbühnenbild. Doch durch die Verknappung der Spielfläche entsteht ein klaustrophobischer Eindruck, der die Handlung noch einmal verstärkt. Es ist ein Käfig, eine Arena, in der Lotario auf Matilde und auf Berengario losgehen wird. Ajdarpasic trägt damit einen großen Teil zum gelungenen Gesamtbild dar.

Lotario und Adelaide, das ist Liebe aus tiefstem
Herzen.
Möglich wirkt die aber erst durch das Lichtdesign Guido Petzold. Er versteht es, Punkt zu setzten, die Stimmungen zu verstärken und dem Bühnenbild etwas von seiner Mächtigkeit zu nehmen.

Lotario fällt in die Kategorie "Dramma per musica", doch gerade im ersten Akt ist von Drama wenig zu spüren. In unzähligen Schleifen wiederholen die Sänger ihre Texte zu immer neuen musikalischen Variationen. Händel scheint hier etwas verliebt zu sein in die eigenen Ideen.

Regisseur Carlos Wagner versteht es, diese Lücken durch beeindruckende Bilder zu schließen. Im Präludium reicht Idelberto dem König von Pavia einen Gifttrank im goldenen Becher. Genau diesen Becher reicht die unterlegene Matilde zum Schluss dem Sieger Lotario. Das ist der letzte Blick durch den sich schließenden Vorhang. Hier weist die Inszenierung mal über die Vorlage hinaus und gibt Raum frei für die Spekulation, wie lange Lotario sich wohl auf dem Thron halten wird.

Wagner variiert seine Bilder wohl gern. Den ersten Akt beschließt die heiß begehrte Adelaide in der Positur des Gekreuzigten, den zweiten Akt eröffnete der Intrigant Berengario in eben dieser Stellung und sein Sohn Idelberto ist gleich zweimal in dieser Haltung zu sehen.

Dies verdichtet die Aussage und spitzt die Handlung zu. Doch gelegentlich gefällt sich Wagner auch in der eigenen Ästhetik. Dann sind seine Kreationen einfch nur schön oder einfach nur pompös. Bei Barockopern ist das legitim.

Ganz untypisch hat Händel die Zahl der Akteure stark beschränkt. Sechs Handelnde kreisen hier umeinander. Es ist fast schon ein Kammerspiel mit Musik. Dies rückt natürlich die Leistung der einzelnen Sängerin und Sänger stärker in den Fokus.

Priester Clodomiro und Herzgin Matilde sind ein
finsteres Paar. Fotos: Veranstalter
Marie Lys in der Rolle der Adelaide überrascht immer wieder mit enormen Volumen in ihrem Sopran. Der Laie fragt sich dann schon, wie so viel Musik in solch einer zierlichen Person stecken kann. Die zahlreichen Koloraturen meistert sie und ihr Duett mit Sophie Rennert als Lotario am Ende des ersten Aktes gehört zu Höhepunkt dieser Aufführung. Das ist Liebe aus tiefsten Herzen.

Es ist schade, dass Todd Boyce in der Rolle des Clodomiro nur wenige Gelegenheiten hat, sich auszuzeichnen. Sein Bariton hat eine ganz eigenen Prägnanz und in den wenigen Koloraturen zeigt er, was in ihm steckt. Es bleibt zu hoffen, dass er in Göttingen beizeiten mehr Platz bekommt

Doch die bestimmende Person dieser Inszenierung ist Ursula Hesse von den Steinen. Sie macht die Matilde so sehr zu bestimmende Person, dass man die Oper eigentlich nach ihr benennen möchte. Das schafft die gebürtige Kölnerin durch eine enorme Bühnenpräsenz und viel dramatisches Potential und durch ihre Stimme. Ihrem Mezzosopran ist durch ein ungewöhnlich tiefe Töne geprägt, die ihm einen dunklen Klang geben. Deswegen ist sie für die Rolle der Intrigantin Matilde wie geschaffen.

Lotario auf den Spielplan der Göttinger Festspiele zu setzten, ist durchaus ein Wagnis. Mit dieser Inszenierung hat sich das Risiko gelohnt.




Händel Festspiele #1: Die Website
Händel Festspiele #2: Die Oper

Händel #1: Lotario bei wikipedia






Samstag, 20. Mai 2017

Bonnie & Clyde sind tot

Die RoadOper kann nur begrenzt überzeugen

Es ist schon mutig, solch eine Oper in der Provinz zu spielen. Die Kooperation des Theater Nordhausen mit der Hochschule für Musik Franz Liszt verknüpft Film, Popkultur und Avantgard. Am Freitag war Uraufführung von "Bonnie & Clyde" und das Wagnis ist nur zum Teil gelungen.

RoadOper ist der Versuch, die Elemente eines Roadmovies auf die Bühne zu bringen. Das geschieht zuerst durch die Gliederung in 13 Szenen, die immer durch einen deutlichen Cut voneinander getrennt sind.

Aber die Oper versucht auch zugleich, den Film selbst in das Geschehen einzubeziehen. Das Spiel auf der Bühne wird immer wieder abgelöst oder auch ergänzt durch Clips. Die beiden Darstellungsebenen sind so tief miteinander verwoben, dass die Darsteller auf der Bühne in einen Dialog mit den Darstellern auf der Leinwand eintreten. Das ist durchaus gelungen, erweitert die schauspielerischen Möglichkeiten und bleibt hängen.

Ein verhängnisvolles Treffen: Die Brüder Barrow
und Bonnie Parker       Alle Fotos: Tilmann Graner
Bonnie Parker und Clyde Barrow waren ein schwerbewaffnetes Verbrecherpaar, dass in den 1930-Jahren im Süden der USA mehrere Raubüberfälle verübte, zu Staatsfeinden auserkoren wurde und im Mai 1934 in Bienville Parish in einem wahren Kugelhagel von der Polizei erschossen wurde.

Es war die Zeit der Großen Depression, die Weltwirtschaftskrise hatte das Land im Griff und die große Dürre vernichtete die ersten Existenzen der Kleinbauern im Süden der USA. Es waren unruhige Zeiten und weil vor allem die Vertreter der Staatsmacht unter den Opfern von Bonnie und Clyde waren, wurden sie schon zu Lebzeiten zu einer Art neuer Robin und Hood auserkoren. Sie wurden zu einem Teil der Popkultur.

Als solche lassen sie sich nicht ohne den historischen Hintergrund denken. Doch die Roadoper in Nordhausen blendet dies komplett aus. Ein bestimmendes Element im Leben vom  Clyde Barrow war die Erfahrung von Not und Elend. Davon findet sich  keine Spur. Damit nimmt das Libretto dem realen Geschehen die Schärfe und verschenkt Potential.

Bonnie und Clyde wirken über weite Phasen eher wie ein liebeskrankes Teenager-Paar und nicht wie zwei Sozialrebellen. Die Geschichte der Outlaws wird umgedeutet zu einer "Against all odds"-Geschichte. Dazu passt auch die Liebe des Streifenpolizisten Ted Hinton zu Bonnie Parker, die natürlich unerfüllt bleiben muss. Bonnie und Clyde? Nicht erschossen sondern tot gekuschelt.

Das kurze und schnelle Leben von Bonnie und Clyde
war eine Achterbahnfahrt.  
Die Ausstattung von Imme Kachel schließt sich dem an. Die Kostüme im Glanz der 50-er Jahre verschieben die Geschichte nicht nur 20 Jahre nach hinten in eine Zeit des dauerhaften Aufschwungs. Sie erinnern auch immer eher an eine unbeschwerte Teenager-Schmonzette wie "Grease" als an den schonungslosen Realismus eines Film noir.

Eine der wenige Ausnahmen bildet die Szene vier. Anna Tarenka in der Rolle der Bonnie Parker gelingt es hie, zu zeigen, wie eine plötzlich gewonnene Macht in Form einer Schusswaffe in einem bisher verfemten Menschen  Allmachtsgefühle  freisetzt. Das ist erschreckend gut und weist weit über das Stück hinaus.

Das Bühnenbild hingegen ist reduziert und durchdacht und überzeugt. Die schiefe Ebene, die mit wenige Requisiten ergänzt wird, macht von Anfang an deutlich, dass hier bald einiges ins Rutschen geraten wird.

Angesichts der Über macht des gesprochenen Wortes kann man überlegen, ob "Bonnie und Clyde" noch in die Schublade Oper passen. Aber wer sagt, dass in solch einem Werk pausenlos geträllert werden muss.

Musikalisch bewegt sich Komponist Christian Diemer im Rahmen der Zeit. Er greift viele Element der Avantgarde der 30-er Jahre auf. Es wird viel gehackt, gesägt und gezwitschert. Das ist für das ungeübte Ohr erst einmal total atonal und melodiebefreit.

Der Stakkato-Sing-Sang von Anna Takenaka  oder von Florian Neubauer in der Rolle des Ted Hinton erinnert an die Klangexperiment des Dadaisten Kurt Schwitters. Man muss schon bereit sein, die Grenzen des gewohnten zu sprengen, um daran Gefallen zu finden.





Theater Nordhausen #1: Das Stück
Theater Nordhausen #2: Der Spielplan

Bonnie & Clyde #1: Der wikipedia-Eintrag




Freitag, 19. Mai 2017

Luthers Laute klingt besinnlich

Händel Festspiele sind mit Renaissance-Musik zu Gast in Walkenried

Selbst die Händel Festspiele kommen in diesem Jahr nicht an Luther vorbei. Zum Reformationsjahr brachten Franz Vitzthum und Julian Behr die Musik des 15. und 16. Jahrhunderts mit ins Kloster Walkenried. Im Kapitelsaal sangen und spielten sie Werke von Luther, von Zeitgenossen und Weggefährten.

Dank der Moderation von Franz Vitzthum konnte das Publikum die Stücke auch in den historischen Kontext stellen. Den Menschen eine Vorstellung davon geben, welche Musik im Hause Luther gespielt wurde, dies sei der eigene Anspruch, erklärt der Countertenor zu Beginn. Schließlich war der Reformator auch ein begeisterter Musiker. Das gesungene Wort war für ihn zudem ein wichtiges Transportmittel des Glaubens und die Laute das Instrument der damaligen Hausmusik.

Julian Behr blätter schon einmal. Alle Fotos: tok
Neben Luther taucht im Programm immer wieder der Name Hans Neusiedler auf. Der Mann aus Nürnberg gilt als der beste Arrangeur seiner Zeit im deutschsprachigen Raum. Mit Luther verband ihn eine Seelenverwandtschaft. Die Innerlichkeit und das persönliche Verhältnis zu christlichen Glaubenssätzen steht auch bei Neusiedler im Zentrum. Das Gewicht liegt auf dem Individuum und somit ist er eindeutig ein Kind der Renaissance.

Mit dem Lauten Solo „Ein sehr guter Organistischer Preambel“ liefert Julian Behr einen besinnlichen Einstieg. Musiker und dann auch Publikum scheinen in der Musik zu versinken. Damit ist die Spur für diesen Abend vorgegeben.

Da wirkt Luthers „Das Patrem zu deutsch – Wir glauben all an einen Gott“ als Kontrast. Himmelhoch jauchzend klingt es, doch der lyrische Countertenor Vitzthum nimmt dem Werk die Spitze. Den Vortrag beginnt er in der Sakristei und trotzdem bringt er deutlich durch. Das ist nicht nur ein kleiner Showeffekt, es zeigt zudem, wie viel Volumen in seiner Stimme steckt.

Mit den folgenden musikalischen Vergleichen machen Behr und Vitzthum den Geist jener Zeit deutlich. Dem „Non moriar, sed vivam“ des Renaissancler Ludwig Senfl stellen sie die Version des Gegenwartskünstler Raitis Grigalis gegenüber. Das „Mille regretz“ von Josquin de Prez muss sich mit Neusiedlers Version vergleichen.

Vitzthum ist ganz versunken.
Behr und Vitzthum verzichten auf die zeitgenössische Vielstimmigkeit. Sie entfernen schmückendes Beiwerk und reduzieren die Musik auf Laute und Countertenor und bewirken damit die Konzentration auf die Inhalte. Das ist sicherlich im Geiste Luthers.

Aber Luther ist nicht nur Innerlichkeit sondern auch ganz weltlich. Mit dessen „Sie ist mir lieb, die werte Magd“ kommt eine neue Qualität in den Abend. Es wird lebhaft und deutet zumindest an, dass es Luther war, der Satz vom verzagten Arsch und dem fröhlichen Furz prägte. Vor der Pause steigert sich das Programm dann sogar  zum rhythmusbetonten „Nun treiben wir den Babst hinaus“.

Innerlichkeit und das persönliche Verhältnis zu den Glaubenssätzen sind keine deutsches Monopol. Das zeigt der zweite Teil des Abends. Mit Goudimel und Ravencroft tauchen zwei Komponisten im Programm auf, die an der Schwelle zu Frühbarock stehen. Behr und Vitzthum spanne damit den europäischen Bogen. Der historische Kontext wird deutlich und der blick des Publikums erweitert sich auf unterhaltsame Weise.

Es ist sicherlich ein Wagnis, mit den Händel Festspielen aus Göttingen herauszugehen und dann auch gleich noch ein Programm zu präsentieren, dass abseits des barocken Mainstream liegt. Es hat sich gelohnt






Händel Festspiele Göttingen #1: Die Website
Händel Festspiele Göttingen #2: Lautenkonzert mit Hille Perl 2015

Kreuzgangkonzerte #1: Das Programm



Montag, 15. Mai 2017

Humor für den Denkmalschutz

Lesung mit Sky du Mont im Kloster Walkenried

Es ist durchaus gefährlich, wenn die Idole von der Leinwand herunterklettern und sich im wahren Leben umschauen. Die Enttäuschung kann groß sein, sehr groß. Am Samstag kam Sky du Mont in den realen Kreuzgang nach Walkenried und hielt ein reale Lesung. Hinterher war von Enttäuschung keine Spur. Der Mann ist auf der Bühne so wie im auf der Leinwand. Authentisch halt und das steht ja bald unter Denkmalschutz.

Das wahre Leben ist das Thema der Bücher von Sky du Mont, auch wenn es manchmal wie Realsatire wirkt. Nach seinem Ratgeber zu Beziehungsfragen und einem Rückblick auf das Leben mit Kindern beschäftigt er sich in "Steh ich jetzt unter Denkmalschutz" mit dem Älter werden. Nein, es gibt keine Ratschläge aber auch keine Klagen über die altersbedingten Ausfallerscheinungen. Er nimmt das Älter werden als das, was es ist, als einen ganz natürlichen Prozess zudem es nun mal keine Alternative gibt.

Er deckt auch gleich einen Widerspruch auf: Niemand will jung sterben, aber keiner will alt werden. Das kann nicht aufgehen, ist du Monts Credo. Da muss man ihm beipflichten.

Groß waren  Andrang und Erwartungen.
Fotos: Kügler
Die Lesung beginnt schlicht und schnörkellos und das bleibt sie auch den ganzen Abend. Manch prominenter Kollege holt sich zur Verstärkung ein paar Musiker dazu (siehe hier und siehe da). Du Mont hat das nicht nötig. Der Vortrag steht im Mittelpunkt und man kann sich kompett auf das gesprochene Wort konzentrieren.

Das lohnt sich und das ist auch nötig. Der Witz mancher Texte liegt nämlich im Verborgenen, im sorgfältig abgewogenen Wort. Er ist ein Humorist der alten Schule und kein Comedian und wenn du Mont dann doch mal eine Zote vortrögt, dann tut er dies auf Goethes Niveau.

Die Vorbilder werden deutlich und auf die Orientierung an Ephraim Kishon weist er auch in seiner Einleitung hin. Das ist aber nichts Schlechtes sondern recht gut, da diese Sorte von Humor auf dem Rückzug ist.

Er geht den Absurditäten des Alltags auf dem Leim und dann auf den Grund. Es sind Situationen, die jeder aus dem Publikum kennt, hundertfach schon selbst erlebt hat. Da wird ein Alltagserlebnis Stufe für Stufe ins Absurde gesteigert, um den Wahnwitz dahinter deutlich zu machen. Deswegen erkennt sich fast jeder in den Anekdoten und Satiren wieder.

Wie sein Vorbild macht du Mont dies mit dieser Mischung aus abgeklärter Sprache und überdrehter Situation. Das ist das Spannungsfeld, auf dem diese Sorte Humor wächst.

Es geht um Diät, um Sport, um Freunde und den ganzen Rest des Universums. In den Geschichten aus dem Alltag des Älter Werdens steckt jede Menge Selbstironie drin, die den souveränen Erzähler verrät. Doch im Gegensatz zu dem Kishonschen Grundrezept kommt bei du Mont immer noch eine ordentliche Prise Zynismus hinzu. Frischgeschiedene dürfen das.

Der Grandseigneur des gepflegten Humors pflegt
manchmal Zynismus auf hohen Niveau. 
Das ist ein schlüssiges Konzept, denn Weisheiten zum Thema Älter werden im dauerjugendlichen Comedy-Stakkato, nein, das wirkt nicht. Und Anekdoten zum Sex im Alter als Poetry Slam, nee, das erst recht nicht. Deswegen hat der Humor für den Denkmalschutz hier seine Berechtigung und das Publikum weiß es ja auch.

Natürlich darf man von einem Schauspieler dieser Güteklasse eine routinierten Vortrag erwarten und du Mont liefert ihn. Aber er liefert auch das Spiel mit dem Publikum, die Arbeit an der direkten Reaktion. Das Live-Erlebnis, das sei der Reiz der Lesung, betont er im Interview. Weil das Publikum natürlich auch die Gala liest, ist es für jeden aktuellen Informationshappen dankbar. Du Mont liefert zuverlässig und streut immer wieder ein "Das steht so nicht im Buch" ein. So entsteht ein verschworene Gemeinschaft auf Zeit zwischen dem Vortragenden und den Zuhörenden.

Aber nichts davon wirkt aufgesetzt und einstudiert. Der Mann da vorne auf dem Podium ist halt so, er ist er selbst und das kommt an. Dafür wir er mit reichlich Applaus und noch mehr mit inniger Verehrung belohnt. Wahrscheinlich ist Sky du Mont auf eine unaufgeregte Art und Weise schon zu einem Gesamtkunstwerk oder zu einer Marke geworden. Der Grandseigneur des gepflegten Humors, des wissenden Lächeln eben.

Dieses Gesamtkunstwerk ist am Samstag von der Leinwand gestiegen und im realen Leben in Walkenried angekommen. Hinterher war von Enttäuschung keine Spur, ganz im Gegenteil.







Sky du Mont #1: Der Interview zur Lesung in Schriftform
Sky du Mont #2: Das Interview zur Lesung in der Soundcloud
Sky du Mont #3: Die offizielle Website
Sky du Mont #4: Die Biographie


Kreuzgangkonzerte #1: Das Programm





Freitag, 12. Mai 2017

Der Chef kann sogar singen

Die Händel Festspiele starten mit einem berauschenden Kammerabend

Nach solch einem Konzert ist man bereit, seinen ärgsten Feinden zu verzeihen, selbst der eigenen Verwandtschaft. Es gab genug Futter für die Seele und man fühlt sich im Einklang mit sich und dem Rest der Welt. Mit einem kammermusikalischen Abend in der Aula der Universität eröffneten am Donnerstag  Elisabeth Blumenstock, Phoebe Carrai und Laurence Cummings die Händel Festspiele 2017. Für die überragende Leistung gab es einen donnernden Applaus.

Mit diesem Auftakt nach Maß hat sich die Idee, das große Fest mit einem kleinen, intimen Konzert einzuläuten, mal wieder bewährt. Sofern man angesichts der ausverkauften Aula von klein und und intim reden kann.

Das Programm stellte die lyrischen Seiten der Barockmusik in den Vordergrund und verzichtete auf die Showeffekte. Zudem wurde der erste Teil von selten gespielten italienischen Barockkomponisten dominiert. Blumenstock, Carrai und Cummings nehmen ihr Publikum mit auf eine Entdeckungsreise, erst nach der Pause führt der Weg in bekannte Gefilde. Chronologisch aufbauend zeichnen sie auch die Entwicklung dieses Genre nach. Lehren ohne lehrerhaft zu sein.

Erst hat Cummings nur gespielt,
später auch gesungen. Foto: tok
Die Sonate in d-Moll von Alessandro Stradella ist im Andante minimalistisch und zurückhaltend angelegt, erst im Presto  entwicklen Blumenstock, Carrai und Cummings die Dynamik, die man vom Barock erwartet. Das Warten hat sich gelohnt, der Wechsel funktioniert bestens. Hier schon zeichnet sich ab, was den Abend bestimmen wird. Das kleine Ensemble   durch die Einzelleistungen der Solisten und dem überragendem Zusammenspiel als Duo und als Trio. In dem ausgewogenen Dreigestirn kommt jeder der Akteure zu seinem Recht.

Mit dem Ricercar No. 7 in d-Moll von Domenico Gabrelli beweist Phoebe Carrai, dass sie zu den besten ihrer Zunft zählt. Sie blättert die ganze Vielfalt dieses Stücks, das eigentlich als Übung für Tasteninstrumente gedacht war, mit ihrem Cellospiel auf. Immer wieder werden aus den Läufen schmeichelnde Melodien.

Mit der Toccata Quarta von Girolamo Frescobaldi kann Laurence Cummings mal seine lyrische Seite zeigen. Sein Spiel nimmt den Stück die Schärfe der Orgelkomposition.

Laut Papierform ist Elizabeth Blumenstock eine der besten Geigerin weltweit und das seit Jahren.  In Realiter ist das ach wirklich.  In der Sonata Nr. 5 in e-Moll von Biber kann sie ihr komplettes Vermögen ausschöpfen.  Erst singt ihre Barock Geiger ein trauriges Lied,  dann erzählt sie Burleskes,  um dann mit überzeugender Dynamik in den Tanz-Modus überzugehen.

Elizabeth Blumenstock ist nicht nur nach
der Papierform ein der Besten. Foto: tok
Das Publikum ist wie verzaubert und bedankt sich mit Applaus aus der Kategorie Popkonzert.  Nach der Pause gehen die drei Könner den eingeschlagenen Weg konsequent weiter.

Cummings zeigt die lyrischen Seiten von Händel und zeigt mit der Ouvertüre aus der Festspieloper Lotario ein verspieltes aber transparentes Klangbild.  Mit der Sonata Abkürzung beweist das Trio, dass Bach an Einfallsreichtum kaum zu überbieten ist und keiner so viele Noten wie er auf wenige Quadratzentimeter Notenpapier bringt. Das ist eine Herausforderung, die das Trio spielend bewältigt.

Die Musiker werden mit donnernden Applaus bedacht und auch das Publikum bekommt eine Belohnung. Als Zugabe gibt es die Arie das Jupiters aus Semele und der chef singt selbst. Das macht Laurence Cummings so gut und vor allem so lyrisch, dass sich bei manchen Gänsehaut einstellt.

Nach solch einem Konzert ist man bereit, seinen ärgsten Feinden zu verzeihen, selbst der eigenen Verwandschaft und vielleicht sogar dem Nachbarn.





Händel Festspiele #1: Die Homepage
Händel Festspiele #2: Laurence Cummings
Händel Festspiele #3: Ein Interview mit Elizabeth Blumenstock
Händel Festspiele #4: Phoebe Carrai bei wikipedia