Freitag, 24. Februar 2017

Ein tänzerischer Quantensprung

Ballettabend mit zwei zauberhaften Choreographien

Seit einem halben Jahr ist Ivan Alboresi Ballettdirektor am Theater Nordhausen. Mit seiner Amtsübernahme hat ein Zeitenwechsel stattgefunden. Dies macht das aktuelle Programm deutlich. Es überzeugt auch das kritische Publikum mit einer wahren Flut an beeindruckenden Bildern.

Ohne Frage ist das Ziel hochgesteckt. Unter dem Titel „Die Seele erzählt nicht, sie tanzt“ wird  ein Verzicht auf eine übliche Dramaturgie angekündigt . Es gehe nicht darum mit dem Mittel des Balletts eine Geschichte zu erzählen, erklärte Alboresi im Vorfeld. Stattdessen sollen die Bewegungen der Tänzerinnen und Tänzer das Publikum mitnehmen auf eine Reise. Das Publikum sollte durch das Wecken der Imagination begeistert werden.

Zur Verstärkung hat Ivan Alboresi sich den Choreographen Pedro Lozano Gómez an seine Seite geholt. Nach vielen internationalen Stationen arbeitet der Spanier derzeit in Paris. Das Experiment ist gelungen. Das Ergebnis ist ein zweiteiliger Abend mit zwei Inszenierungen, die die Spannbreite zeitgemäßen Tanztheater deutlich machen.

Es beginnt mit einem Menschenknäuel vor einer Leinwand auf einer weißen Bühne. Der Beamer wirft Bilder von Blasen auf die Leinwand. Zu den sphärischen Elektro-Klängen des Isländers Ólafur Arnalds kommt Bewegung in die Körper. Es fließt, es wallt, es ist durch und durch organisch. Dann schaltet die Musik auf Industrial Sounds um. Wie Kolben in einem Zylinder bewegen sich die Darsteller auf und ab.

Im Schlussbild des ersten Teils stehen zwei Tänzer im Gegenlicht vor der Leinwand. Jenseits der Trennwand bewegen sich fünf Gestalten. Die Verhältnisse zueinander bleiben unklar. Die Deutung bleibt jedem selbst überlassen, so viel Freiheit muss sein.

Dazwischen hat Gómez einen wahren Bilderbogen gespannt, der die Vorstellungskraft des Publikums durchaus herausfordert. Schnelle Passagen wechseln sich mit kontemplativen Momenten ab. Gómez Anspruch ist es, die Instabilität des Lebens, die ständigen Veränderungen zu zeigen. Dies wird schon mit den harten Schnitt in der ersten Szene deutlich .

Kopfkino als work in progress


Seine Choreographie besteht aus einzelnen Szenen, die Verbindungen darf das Publikum selbst herstellen. Weil der Mensch an sich nun mal eine Sinnmaschine ist und der Theaterbesucher im Besonderen dementsprechend konditioniert ist, dauert es eine ganze Weile, bis das Publikum sich einfach dem Kopfkino ausliefert.

Die Vorstellungskraft des Zuschauer wird damit zum Teil des Arbeitsprozesses und für jeden Einzelnen entsteht eine individuelle Reise. Dies ist ohne Frage eine Herausforderung. Sie anzunehmen lohnt sich aber, denn der Lohn ist für jeden ein ganz individueller Abend mit Tanztheater auf aktuellen Stand.

Alboresi wagt eine Symbiose aus Klassik und Modern
Dance.          Foto: Tilmann Graner
Weil es keine festgeschriebenen Rollen und Identifikationsmöglichkeiten gibt, ist diese Choreographie vor allem eine Leistung des Ensembles. Das Individuum trifft immer wieder auf die Gruppe. Einzelne verbinden sich zu Ketten, verheddern und entwirren sich. Angesichts einiger Figuren und Bilder, die sich wiederholen, zeigt sich hier Kürzungspotential. Gómez testet hier die Aufnahmefähigkeit des Publikums. Doch das bedankt sich schon zur Pause mit donnernden Applaus.

Der Verzicht auf erzählerische Momente und das Bauen auf die Imagination bilden auch in Alboresis Choreogrphie die Grundlage. Doch während Gómez ein „State of Art“ in Sachen Modern Dance liefert, geht Nordhausens Ballettchef einen Schritt weiter. Seine Inszenierung wagt die Kombination mit dem klassischen Ballett. Pas de deux und aufstrebende Hebefiguren kontrastieren Gómez expressive Bodenständigkeit.

Pure Ästhetik 


Der reinen Tanzfläche setzt Ronald Winter hier eine durchkomponiertes Bühnenbild entgegen. Eine Wolke mit Himmelspforte im Barock-Dekor krönt das Ganze. Das Senken und Heben einzelner Bühnenelemente wird während der Vorstellung zum Gestaltungsmittel und noch stärker als im ersten Teil wird das Licht zum gestalterischen Element. Es folgt ein Wechselspiel von hell und dunkel.

Die Tänzerinnen tragen Kostüme, die an die ausladenden Röcke des 18. Jahrhunderts erinnern und auch in der Musik wagt Alboresi die Symbiose. Er kombiniert die klaren Klänge des Avantgardisten alva noto mit den Werken von Johann Paul von Westhoff. Der Minimalismus des fast vergessenen Barockkomponisten scheint auch nach 300 Jahren erstaunlich aktuell. Manchmal bedarf es eines glücklichen Zufalls, um Großartiges entstehen zu lassen.

Alboresis Choreographie ist pure Ästhetik.
Das Publikum ist gar nicht mehr versucht, Geschichten in das Bühnengeschehen hineinzuinterpretieren. Es überlässt sich gänzlich der Flut an zauberhaften Bilder und doch schimmert ein roter Faden hindurch. Während  Gómez Szenen zusammenfasste präsentierte Alboresi einen mitreißenden Prozess, dessen Ende eindeutig durch das Senken der Lichttraversen eingeläutet wird. Diese Sprache ist eindeutig, auch Ungeübte verstehen sie.

Hier geht es um nicht mehr und nicht weniger als die reine Bewegung, um losgelöste Ästhetik. Hääte Immanuel Kant einst eine Choreographie geschrieben, sie sähe wohl so ähnlich aus. Vielleicht hätte er sich dann in seiner "Kritik der Urteilskraft" die Begründung der Schönheit sparen können.

Mit dem Amtsantritt von Ivan Alboresi hat am Theater Nordhausen nicht nur ein Zeitenwechsel stattgefunden. Dieser Abend zeigt, dass es wohl ein Quantensprung war.



TNLos #1: Der Spielplan
TNLos #2: Das Werk

TNLos #3: Ivan Alboresi
TNLos #4: Pedro Lozano Gómez




Sonntag, 19. Februar 2017

The most sexy Blasinstrument

Wildes Holz bei den Jazzfreunden Osterode

Warum eigentlich haben sich Generationen von pubertierenden Jungs mit der Gitarre abgemüht? Haben sich die zarten Finger an rauen Saiten ruiniert? Alles nur, um die Mädels zu beeindrucken. Hätten sie geahnt, dass man das auch mit der Blockflöte machen kann, wären ihnen einige erspart geblieben. Aber die züchtigen Musiklehrer haben es verschwiegen. Ob aus Unkenntnis oder mit Absicht, das sei dahingestellt.

Aber Gott sei Dank gibt es ja Tobias Reisige und Wildes Holz. Das Trio war am Freitag zu Gast bei den Jazzfreunden Osterode und es hat nicht nur den kleinen Mädels imponiert. Am Ende des zweistündigen Konzerts tobte der ganze Saal, trotz des fortgeschrittenen Alters des Publikums.

Tobias Reisige hat noch ganz andere
Blockflöten im Arsenal. Fotos: tok 
Seit 1998 ist das Trio unterwegs und es hat eine Mission. Handgemacht Musik ist mehr als bedächtiges Sinnieren über die Schlechtigkeit der Welt. Auch unplugged kann richtig abgehen.

Ach ja, die Entstehungsgeschichte basiert auf jenen Zufällen, die die Musik manchmal  deutlich voranbringt. Auf jeden Fall hatten Tobias Reisige, Anto Karaula und Markus Conrads schon Erfahrungen in anderen Bands als sie 1998 in der Musikschule Recklinghausen aufeinander trafen. Seitdem ist die Musikwelt nicht mehr dieselbe.

Was machen sie eigentlich? Ist es Jazz? Ist es Akustik-Pop? Ist es Rock? Oder was ganz anderes? Doch, man muss schon die überstrapazierte Formulierung vom "Überwinden der Genregrenzen" bemühen, um annähernd zu beschreiben, was Wildes Holz. Wer es genauer wissen will, der muss die Band eben mal live erleben.

Mal swingt es, mal rockt es, mal bossa novat es und dann schimmern Klassik und Barock hindurch. Conrads, Karuala und Reisige bedienen sich sehr frech im Fundus der Musikgeschichte  und kreieren ihren sehr eigenen und gelegentlich eigenartigen Stil. Aber es funktioniert und es fasziniert.

Zumindest war das Publikum in der BBS 2 vom ersten Augenblick an in den Bann gezogen, obwohl die drei Musiker doch mit großen Vorschusslorbeeren angereist war. Das erste Set war noch so etwas wie ein Abtasten. Auch wenn das Tempo recht war, ging ruhiger zu als erwartet.

Karaula und Conrads sind weit aus mehr
als nur Begleitpersonal. 
Conrads, Karaule und Reisige machten das Auditorium erst einmal mit der Konzept bekannt. Wildes Holz liefern keine Interpretationen von Standards in eigenartigen Arrangements ab. Aus den Versatzstücke der Musikgeschichte schaffen sie eigenes. Doch, doch Johann Sebastian Bach und Michael Jacksons Billy Jean passen zusammen in ein musikalisches Bett, neben einigen anderen Lichtgestalten natürlich. Auch Mozart passt noch unter diese Decke.

Jon Lord, Roger Glover, Ian Paice und Ritchie Blackmore finden da auch noch ihr Plätzchen. Allen pubertierenden Gitarreros sei  gesagt, das "Smoke on the Water" in der Holz-Version verdammt cool klingt klingt.

Natürlich steht die Befreiung der Blockflöte in ihren unterschiedlichen Spielarten im Vordergrund. Doch Anto Karaula an der Gitarre und Markus Conrads am Kontrabass sind nicht das Begleitpersonal sondern kongeniale Partner,

Ein Konzert mit Wildes Holz ist ach ein wenig Work in progress. Es ist jedes Mal etwas anders als beim vorhergehenden und damit einzigartig. Tobias Reisige führt sein Arsenal an Blockflöten vor, spielt jeweils ein paar Noten und dank Loop-Technik wird das vorherige zur Begleitung des aktuellen. So entsteht Schritt für Schritt, Note für Note ein ganzes Flötenensemble und am Ende erklingt Coldplays "Vida la vida" für Holzbläser. Großartig.

Überhaupt, wer meint, eine Flöte kann nur wie eben eine Flöte klingen, der kennt Tobias Reisige nicht. Mal macht er aus seinem Instrument Klanghölzer, mal klingen seine Flöten wie eine Snare Drum und ein Hi Hat. Die Blockflöte als Perkussionsgruppe? Doch, es geht.

"Born to be wild" für Solo-Kontrabass.
Wildes Holz beherrschen auch das Spiel mit dem Publikum. Willfährig gespielt lässt es sich an diesem Abend auf alles ein, was die Drei auf der Bühne da vorne fordern. Zuvor haben sie mit Eddy Grants Superhit "Gimme me hopa Joanna" die letzten Schranken fallen lassen. Wie bitte? Eddy Grant,  Township Jive und Blockflöte? Doch, das passt und das geht richtig ab und zwar so sehr, dass zum Schluss Flöte und Auditorium schnaufen wie eine alte Dampflok.

Danach können die Drei machen, was sie wollen, das Publikum jubelt sowieso. Gemeinsam feiert man ein Fest der Musik und mit der Holz-Version von Black Sabbaths "Paranoid" legen sie noch einmal 'ne Schippe drauf.  Alles endet in einem furiosen Finale mit "Born to be wild" für Kontrabass. Trotz des fortgeschrittenen Alters tobt das Publikum.

Wildes Holz hat sein Mission. An diesem Abend wurde die Blockflöte vom Image des schäbigen Kinderspielzeugs befreit. Das sollten sich Musiklehrer mal zu Herzen nehmen und alle Jungs, die den Mädels Gitarre spielend imponieren wollen.





Wildes Holz #1: Die offizielle Homepage
Wildes Holz #2: Holz bei wikipedia
Wildes Holz #3: Der Spotify-Channel

Jazzfreunde Osterode #1: Die Homepage
Jazzfreunde Osterode #2: Facebook-Auftritt





Dienstag, 7. Februar 2017

Der Tag, an dem Jean zu trinken anfing

TfN dreht in "Funny Money" fleißig an der Spirale des Wahnsinns
Es ist eine Plattitüde, aber dennoch wahr. Man  muss schon verdammt gut, um eine überdrehte Komödie davor zu bewahren, in Klamauk zu enden. Mit "Funny Money" beweist das Theater für Niedersachsen, dass es genau das kann. In der Farce von Ray Cooney schimmern immer wieder Realität und echte Typen durch.

Henry Perkins scheint ein wahrer Glückspilz zu sein. An seinem Geburtstag verwechselt der Buchhalter auf dem Heimweg in der U-Bahn seinen Aktenkoffer mit dem eines Unbekannten. Im nächsten Pub trinkt er sich nicht nur Mut an sondern überprüft auch den Inhalt des Koffers: 2,5 Millionen Pfund, wohl zweifelhafter Herkunft.

Kaum hat Henry Perkins einen Koffer voll Geld,hat
er auch gute Freunde. Alle Fotos: F.v. Traubenberg
Er fasst einen wichtigen Entschluss: Geburtstagsessen absagen, Frau einpacken, ab in den Süden und ein neues Leben beginnen. Doch er hat die Rechnung ohne seine Frau, die Freunde, zwei korrupte Polizisten und einen überdrehten Taxi-Fahrer gemacht.

Ray Cooney bezeichnet seine Stücke gelegentlich als Farce. Ganz normale Menschen geraten in Situationen, die sie nicht bewältigen können. Dies ist von Anfang an klar und deswegen sind Cooneys Werke auf eine schräge Art eigentlich Tragödien, bei denen man sehr viel lachen kann, lachen muss. Die Schraube des Wahnsinns dreht sich von Minute zu Minute schneller und das Dickicht der Verstrickungen wird im dichter. Immer mehr Personen kommen ins Spiel und die Kommunikation findet nur noch knapp vor der Grenze zum Schreien statt, manchmal auch jenseits dieser Linie.

Es reicht ein Blick und man ist mittendrin in der Geschichte, mittendrin in den Suburbs, in den Schlafstätten der Mittelschicht. Das Bühnenbild zeigt ein Eigenheim, dass kaum britischer sein könnte. Kräftige Farben an den Wänden, eingerahmt in weiß, ein Kamin mit künstlichem Feuer und eine Ausstattung irgendwo zwischen den Swinging Sixties und der Jetztzeit. Andrea Jensen hat hier sehr gute Arbeit geleistet

Manchmal gibt es seltsame Koalitionen: Vic, Henry
und Sergeant Davenport.    Foto: F.v.Traubenberg
Wenige Augenblicke reichen, um zu verstehen, welche Ordnung hier herrscht. Jean Perkins (Simone Mende) bereitet das Heim für die Wiederkehr des Herren (Gotthard Hauschild) vor. Als sie zum wiederholten Mal die Kerzenständer auf dem Kaminsims zurechtrückt, müssen einige Zuschauerinnen bekennen, dass sie ähnliche Verhaltensweisen an den Tag legen. Vor lauter emsigen Treiben bekommt sie gar nicht mit, dass ihr Gatte nun doch erschienen ist.

Ein Blick auf Henry reicht, um zu erkennen, dass die Ordnung durcheinander geraten ist. Die Mimik, die Gotthard Hauschild aufgelegt hat, changiert zwischen kleinkindlicher Freude und drohenden Wahnsinn. Von Anfang an legt er ein enormes Tempo vor und wird bis zum furiosen Finale nicht mehr müde, den Eindruck zu vermitteln, als sei er der Herr der verzwickten Lage. Alle zungenbrecherischen Wortkaskaden durchkreuzt er ohne Schiffbruch und er besticht mit der glasklaren Logik des wahngetrübten Hirns.

Also kann es losgehen mit dem Tür aufreißen, hektisch auftreten und herumbrüllen, hektisch abgehen und die Tür wieder zuknallen. Egal wie eingeschränkt das Handlungsmuster ist, unter der Regie von von Karl-Heinz Ahlers wird es zum großen Spaß.  

Da die Handlung vorhersehbar ist, ist hier das Ensemble besonders gefordert, damit die Komödie nicht in den Klamauk abdriftet. Das gibt des Darstellern die Chance, das ganz große Besteck auszupacken. In der Inszenierung von Karl-Heinz Ahlers funktioniert dieses wunderbar. Er kann auf zwei wunderbare Hauptdarsteller bauen.

Henry dreht durch, Jean (mitte) ist betrunken und
nur Betty bält die Nerven. 
Denn Simone Mende steht ihrem Partner in nichts nach. Die Überforderung der Ehefrau, die aus ihrer gesicherten Existenz vermittelt sie eindrucksvoll mit Stimme und Mimik. Da wundert es niemanden, dass Jean an diesem Tag mit dem Trinken anfängt.

Zum Abschluss dieses Abends in Clausthal-Zellerfeld bekommen beide den Zuschauerpreis 2017 des TfN überreicht. Spätestens mit dieser Leistung haben beide die Auszeichnung bestätigt.

Aber auch in den anderen Rollen ist diese Komödie bestens besetzt. Die Überraschung ist Moritz Nikolaus Koch. Ansonsten auf den jugendlichen Stürmer und Dränger abonniert, glänzt er hier in der Rolle des schmierigen und korrupten Sergeant Davenport.

Dennis Habermehl ist Henrys Freund Vic Johnson und er zeigt eine wunderbare Verwandlung von vom Großmaul zum Angsthasen. Am Ende möchte man den anfänglichen Unsympath einfach nur in den Arm nehmen. Genauso überzeugend ist die Wandlung seiner Gattin Betty. Michaela Allendorf zeigt eine Frau, die die Chance nutzen möchte, aus dem Allerlei der Vorstadt auszubrechen.

Also, wie gesagt, eine Komödie davor zu bewahren in den Klamauk abzugleiten und zwischen all den Schenkelklopfern und der Wortakrobatik noch echte Typen zu zeichnen, das ist eine hohe Kunst. Das TfN beherrscht sie.



TfN #1: Der Spielplan
TfN #2: Das Stück


wikipedia #1: Der Autor Ray Cooney




Sonntag, 5. Februar 2017

Bewährtes eben nur anders verpackt


Jörg Knör zeigt Jahresrückblick
Knör ist vielleicht der beste Parodist im deutschsprachigen Raum. Aber er will mehr, er will zum Entertainer reifen. Dass dies nicht immer gelingt, zeigte sein Programm "Das war's mit Stars 2016". Was als humorvoller und satirischer Rückblick auf das Jahr 2016 angekündigt wurde, entpuppte sich streckenweise als Aneinanderreihung bekannter Gags.

Keine Frage, Knör ist noch ganz alte Schule. Er kann mit dem Publikum umgehen, er zeigt auch ein wenig Selbstironie und kann über sich selbst lachen. Das geht den jüngeren Kollegen meist ab. Er kann singen und Saxophon und Blockflöte spielen und den Schnellzeichner kann er auch. Er ist wohl auf dem Weg zum Entertainer, zum ganzheitlichen Unterhalter.

Jörg Knör als Jörg Knör.
Alle Fotos: tok
Deswegen ist es so schade, dass in diesem Programm das Motiv "Mit heißer Nadel gestrickt" überall durchscheint. Dies beginnt bereits beim Bühnenbild. Das stammt nämlich zum allergrößten Teil noch aus de Programm "VIP VIP Hurra", mit dem Knör vor zwei Jahren unterwegs war.

Trotzdem fängt er das Publikum ein, weil die Bilder auf der Multivisionswand zeigen, dass sich Knör vorher mit dem Auftrittsort beschäftigt hat. Das schmeichelt den Besuchten und ist Teil seines Konzeptes ( siehe Interview von 2015).

Ob 2016 ereignisreicher als andere Jahre, das sei dahingestellt. Aber dieses Jahr war vor allen vom Tod zahlreicher Stars und Sternchen geprägt. Warum Knör dann vor allem Prominente auftreten lässt, die schon längst der Verwesung übergeben wurden, dieses Geheimnis sollte er nicht mit ins Grab nehmen.

Sicherlich, die "Helmut und Loki im Raucherhimmel"-Nummer ist großartig, weil sie die Schmidts nicht nur erdet, sondern auch das Besondere am Altkanzler, seine Einzigartigkeit deutlich macht. Aber Helmut Schmidt starb schon 2015 und in dieser Nummer gibt es keinen Bezug auf aktuelle Geschehnisse.

Da hat Marcel Reich-Ranicki einen deutlichen Vorteil. Zwar hat er das Zeitliche schon längst gesegnet, aber es gibt wenigstens einen Anlass, auf die Bühne zurückzukehren. Er darf die Literaturnobelpreis für Bob Dylan kommentieren und das macht er gut. Knör gelingt es, durch die Parodie die ganze Selbstgefälligkeit dieser selbst ernannten Koryphäe deutlich zu machen. Seine exaltierte Gestik und seine geschraubte Sprache trifft er auf den Punkt.

Lebt der alte Kleider-Karl noch? Was hat Lagerfeld
2016 gemacht?
 
Auch in der Parodie von Xavier Naidoo gelingt es Knör, dem Publikum die ganze Schwülstigkeit des Urvaters des deutschen Jammerpops durch Übertreibung vorzuführen. Wenn er solche Klasse hat, warum versucht Knör dann, diese Nummern durch ein vermeintlich gemeinsames Motto in eine Zwangsjacke zu pressen, die doch überall zwickt? Was hat in einer Rückschau 2016 Knörs  Auftritt beim Supertalent 2013 zu suchen?

Die Nummer sind gefällig bis humorvoll, aber zurückblickend muss man sagen: Damit tut Knör sich keinen Gefallen. Die Tatsache, dass der Auftritt in Osterode der vorletzte mit diesem Programm war, ist eine positive Perspektive.

Eigentlich kann er's ja viell besser.  Es bleibt zu hoffen, dass er mit seinem Traumprogramm "Filou" ab dem Herbst 2017 mehr Fortune hat.




Interview #2: Lachen können ist ein Frage des Selbstbewusstseins
Interview #1: Ich bin noch ganz alte Schule

Auftritt #1:  Reise in gute alte Zeit

Internet #1: Die offizielle Website 
Internet #2: Knör bei wikipedia