Montag, 31. Oktober 2016

Auf Wallfahrt nach Hiva Oa

Jens Rosteck berichtete über die letzten Lebensjahre von Jacques Brel
Keine Lesung sondern ein Performance sollte es sein. Am Freitag war der Literaturherbst Göttingen zu Gast im Esel in Sülbeck. Mit Klavier, Boxen und Beamer trug dort Jens Rosteck aus seinem Werk "Brel - Der Mann der eine Insel war" vor. Das Buch beschäftigt sich mit dem Aussteigerdasein des Sängers und Komponisten und seinen letzten Lebensjahren auf Hiva Oa. Aus dem nüchternen Bericht wurde eine Wallfahrt in die Südsee.
Der Vortrag beginnt mit Musik. Jens Rosteck spielt am Flügel ein Walzer, den er erst erklären muss. Denn ein Walzer muss nicht immer im Dreivierteltakt sein, behauptete einst Jacques Brel. Der Mann musste es wissen, immerhin zählt er zu den wichtigsten Vertretern des Chansons im 20. Jahrhundert. Rosteck erzählt vom ungewöhnlichen Verhältnis des Chansonnier zu der Gattung Walzer. Damit war der Einstieg geschafft.
Zur Bestätigung spielt der Referent "La valse á mille temps" ein. Aus einer weichen Streicherbasis heraus steigert sich Jacques Brel bis in die Ekstase. Das ist das bekannte Bild, das kennt jeder, der den Namen Brel schon einmal gehört hat. Dazu wirft der Beamer im schnellen Wechsel Bilder von Brel auf die Leinwand. Es sind Fotos aus Jugendzeiten, aus den Zeiten der grandiosen Erfolge, Zeichnungen, Lithographien, eben alles, was der Devotionalienhandel so hergibt. Ein System oder Zusammenhang zum Gesang ist nicht zu erkennen.
Das verinnerlichte Spiel des Pianisten bildet einen
Kontrast zur stürmischen Vorlage.     Fotos: tok
Dann erinnert Rosteck an den schleppenden Erfolg des Außenseiters in Paris. Erst nachdem der Zuwanderer aus Belgien seine asketische Attitüde abgelegt hat, lag Paris ihm zu Füßen. Die Theatralik, die bedingungslose Verausgabung, das war die Bestimmung von Jacques Brel. Damit wurde er in kürzester Zeit zum König des Chansons. Ein Orkan, eine musikalische Urgewalt. So weit das bekannte Bild.
Rosteck berichtet von Brels Jugend in Brüssel, von der kleinbürgerlichen Familie aus dem katholische Milieu. Dazu reiht er Foto an Foto, eine wahre Bilderflut ergießt sich. Rosteck berichtet von dem Protestler Brel, der auf subtile Weise kritisiert, aber nie Partei ergreift. Das überlässt er seinen Publikum. Dann kommt der Mai 1967 und das legendäre Abschiedskonzert im Olympique. Danach wird Brel noch einige Alben veröffentlichen, aber nie wieder auf einer Bühne stehen,
Brels Gehversuche im Filmgeschäft sind eher Stolpereien, die ihn fast in den Ruin treiben. Auf der Leinwand bleibt der Sänger ein Fremdkörper. Doch dann entdeckt er das Segeln und wohl das, was manche die wahre Bestimmung nennen. Hier kippt die Stimme des Referenten ins Schwärmerische, in die Verklärung.
1975 landet Brel mit seiner letzten Lebensgefährtin auf der polynesischen Insel Hiva Oa. Hier läßt er sich nieder, obwohl das unwirtliche Eiland seiner Gesundheit nun gänzlich abträglich ist. Auch Paul Gauguin verbrachte hier seine letzten zwei Lebensjahre, bevor ihn die Syphilis dahin raffte.
Ach ja, Paul Gauguin. Brel schwärmte wohl für den Aussteiger und Rosteck tut es auch. 1978 wird der Sänger neben dem Maler begraben werden. Ach ja, Paul Gauguin. Hier liegt eben ein Konstruktionsfehler. Bei aller Schwärmerei für das Aussteigerdasein vergisst Rosteck, dass Gauguin trotz Erkrankung immer noch das praktizierte, was er für die freie Liebe der Eingeborenen hielt. Der Zuwanderer wurde so zum Todesengel.
Taugt Jacques Brel als Übervater?
In ähnlichen Weichtönen zeichnet Rosteck das Leben von Brel und seiner Mathild auf Hiva Oa, karitativ und wundertätig. Distanz und Differenzierung sucht man vergebens. Auch keine Erklärungsversuche. Dass Brel seine Frau und die drei Töchter zurückließ, deutet er nur an. Dass der Sänger für seine Familie kein angenehmer Mitmensch war, dass das Verhältnis schwer belastet war, verschweigt er. Hier war ein Künstler, der in seiner Berufung auf andere keine Rücksicht nehmen konnte, geschenkt.
Manche Sportjournalisten sind Fans, die es aus unerfindlichen Gründen auf die andere Seite geschafft haben, sagte mal Thomas Kistner. Für Musikerbiografen gilt wohl ähnliches. Im Publikum ist die Generation "Irgendwo zwischen 50 und 60" deutlich in der Überzahl. Es ist die Generation, die vor 35 Jahren so viel vom Aussteigen geredet und geräumt hat und sich dann doch nicht getraut hat. Nun kommt jemand daher und singt wieder das hohe Lied des Aussteigen. Jugenderinnerungen werden wach, dafür ist man dankbar. Darin liegt der Zauber: Jacques Brel erfüllt eine Ersatzfunktion. "Mögen , aber dürfen haben wir uns nicht getraut", wusste schon Karl Valentin. An diesem Abend ist diese Weisheit  2 Stunden lang außer Kraft gesetzt.






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Dienstag, 25. Oktober 2016

Abschied mit Premiere

Abegg Trio verabschiedet sich mit Beethoven


Man soll gehen, wenn's am schönsten ist. Auf ihrer Abschiedstournee schaute das Abegg Trio noch einmal in Walkenried vorbei. Dabei zeigte es, warum es auch nach vierzig Jahren immer noch zu den Spitzenensembles in Sachen Kammermusik gehört.

Seit 1976 musizieren Ulrich Beetz, Birgit Erichson und Gerrit Zitterbart zusammen. 1976? Damals zog David Bowie  gerade nach Berlin und die Puhdys kündigten ihre erste Abschiedstournee an. Die Schmuserocker sind immer noch unterwegs in Sachen Aufhören und wie die Sache mit David Bowie ausgegangen ist, dürfte bekannt sein.

Der Kapitelsaal ist  ein geschlossenes  
Die erste Premiere zum Abschied war der Spielort. Zum ersten Mal wurde es an diesem Abend die Kammermusik nicht im Kreuzgang sondern im Kapitelsaal dargereicht. Die Verlegung hat sich ausgezahlt. Der Kapitelsaal bietet eine intime Atmosphäre, die zurückführt zu den Anfängen der Kammermusik als musikalisches Ereignis für einen begrenzten, abgeschlossen und sogar familiären Kreis. Das ist der Charakter dieser Gattung: konzentriert und vertieft.

Somit ist die Bezeichnung Konzert sogar irreführend. Es war eine Soiree unter dem Titel "Beethoven um sechs". So blieb das Abegg-Trio seinem Anspruch, einer authentischen Aufführungspraxis mit passenden Umfeld bis zuletzt treu.

Die zweite Premiere war im Programm versteckt. Dort waren drei Klaviertrios von Beethoven versammelt. Von Opus 1.1 bis Opus 1.3 sind es die ersten Werke, die Beethoven als Neuankömmling in Wien veröffentlicht hat. Sie sollten wegweisend werden.

Wer das Schlagwort von Mozarts Geist weitergereicht mit Haydens Händen strapaziert, der führt ein wenig in die Irre. Bei Beethoven stellt sich immer die Frage: "Wer er noch Spätklassiker oder schon Frühromantiker?" Nach diesem Abend ist die Antwort ein entschiedenes Jein. Die herausgehobene Stellung des Instrumentalisten, die Auflösung des Tutti, die Individualität jedes einzelnen Tones und die verschleppten Übergang und die abrupten Wendungen. Schon in diesem Werken aus den Jahren 1793 bis 94 erahnt man, was später einmal die Gattung Romantik ausmachen wird, auch wenn das Klangbild der Klassik verhaftet.

Das Hammerklavier zeigt deutlich Reminiszenzen an das Cembalo. Gerrit Zitterbart zaubert aus dem Holzkonstrukt einen warmen, leicht näselnden Klang. Dann geht er ganz zurück an die Anfänge der Karriere des Instrumentes, das das folgende Jahrhundert dominieren wird. Im Klaviertrio Es-Dur ist der Hammerflügel  das tonangebenden Instrument, auch wenn es immer wieder den Dialog mit den Streichern, vornehmlich  mit der Violine sucht.

Das intuitive Miteinander zeichnet das Abegg Trio
schon immer aus.
Hier liegt die Stärke des Abegg-Trios seit seinen Anfangstagen: das intuitive Verständnis von drei starken Instrumentalisten. Durch alle drei Stücke der Soiree hindurch ist es dieser Dialog, dieser nahtlose Wechsel der Solisten, der für Erstaunen sorgt.

Es ist nicht nur das freie Spiel der Soli, es ist auch die gleichbleibende Stärke in allen doch sehr unterschiedlichen Sätzen. Wenn man arglistig wäre, dann könnte man meinen, dass der 23-jährige Beethoven mit diesem Kompositionen im jugendlichen Überschwang zeigen wollte, was er am Tempiwechsel für möglich und nötig hält.

Dennoch zeigt sich besonders im Adagio cantabile die Dominanz des Tasteninstrument gegenüber den Streicher. Dankenswerterweise verzichtet Zitterbart aber darauf, die Vorherrschaft deutlich auszuspielen. So bleibt für Ulrich Beetz noch genug Raum, seine Violine zur Geltung zu bringen.

Im Finale des ersten Stück kann das Publikum den gereiften Beethoven schon erahnen. Das Presto ist Surm und Drang in Tönen. Es kommt mit einer Wucht daher, die die späteren Sinfonien auszeichnet und es bedarf schon der Klasse eines Abegg Trios, eben jene Dynamik verlustfrei mit nur drei Instrumenten auf die Bühne zu bringen.

Das Abegg Trio tritt von der Bühne ab.
Komplett anders klingt dann das Largo aus dem Trio G-Dur op 1.2. Nicht umsonst trägt es den Zusatz "con espressione", denn im Vorgriff auf die Romantik steht hier der Ausdruck, die Vermittlung von Gefühl im Vordergrund. Beetz, Erichson und Zitterbart liegt dies deutlich.

Der nächste Kontrapunkt ist das Menuetto quasi allegro im c-Moll Trio. Hier blickt Beethoven noch einmal zurück in die Musikgeschichte. Jeder einzelne Ton scheint zu hüpfen, der Urgewalt der Presti hat Beethoven die Leichtigkeit eines sommerlichen Tanzes gegenübergestellt. Bei aller Routine hat auch das Abegg Trio an dieser Unbeschwertheit und Luftigkeit seine Freude, die sich auf das Publikum überträgt. Die verkürzte Distanz zwischen Zuhörer und Künstler im Kapitelsaal tut ihr übriges dazu.

Der Klassiker Antonio Salieri soll ja mal die steile These aufgestellt haben, dass der Mensch nur eine begrenzte Zahl an Tönen aufnehmen kann. Der Frühromantiker Beethoven wollte mit diesen drei Werken wohl deren Anzahl ausloten. Das Abegg Trio hat im Kloster Walkenried auf jeden Fall jeden einzelnen davon zelebriert.

Ja, man sollte aufhören wenn's am schönsten ist. Geleistet hat das Abegg Trio Überragendes. Aber wie gesagt, die Abschiedstournee der Puhdys dauert ja immer noch an. Vielleicht nehmen sich Beetz, Erichson und Zitterbart ja auch daran ein Beispiel.



Die Website des Abegg Trio
Das Abegg Trio bei wikipedia

Die Kreuzgangkonzerte im Kloster Walkenried