Samstag, 4. Juli 2015

Keinen Freispruch für den Verräter

Gunter Heun macht im Kloster Brunshausen den Judas


Seit 2012 gehört Gunter Heun zu den prägenden Darstellern der Domfestspiele. Mit seinem Solo in "Judas" unterstrich er bei der Premiere am Freitag im Rosenhof diesen Anspruch eindrucksvoll und eindringlich. Mit ihrer Sicht auf Lot Vekemans Werk haben Christian Doll und Florian Götz eine berührende Inszenierung vorgelegt. Sie haben eine Figur begreifbar gemacht, die seit Jahrtausenden unter einen Vorurteil verborgen war.

Die Tür öffnet sich und für das Publikum geht es in die Tiefe. Ist der Gang in den Theaterkeller nun der Weg in die Hölle oder führt er nur in eine Krypta. Auf jeden Fall verlangt dieses Stück nach einem Raum, der kein Ausweichen erlaubt.

Gunter Heun macht im Kloster den
Judas. Alle Fotos: GDF 
Die 50 Zuschauer sitzen sich in zwei langen Reihen gegenüber. Das erinnert an das britische Parlament als Redearena. Aber es erinnert auch an die Grand Jury aus den klassischen amerikanischen Gerichtsfilmen. Assoziationen mit „Wer die Nachtigall stört“ und Gregory Peck werden geweckt. Soll hier heute Abend über eine Person gerichtet werden, deren Urteil seit Jahrtausenden feststeht: Ewige Verdammnis.

Immerhin geht es um Judas Ischariot, den Verräter Jesu Christi. Walter Jens setzte 1975 einen Rehabilitierungsprozess in Gang, an dessen Ende die Tat als Teil des göttlichen Plans dasteht. Ohne Judas kein Verrat, ohne Verrat keine Kreuzigung, ohne Kreuzigung keine Erlösung, lautet die Gleichung mit zwei Bekannten.

Lot Vekeman geht weiter. In ihrem Monolog für einen Schauspieler geht es nicht um die Vorhersehung. Es geht um die Person Judas Ischariot. Der Verräter wird von der Tat gelöst, er bekommt ein Gesicht, eine Biografie und zum Schluss eine Identität.

Dem Vorverurteilten eine Stimme geben. Welches Mitglied des Gandersheimer Ensembles könnte diese schwierige Aufgabe besser umsetzten als Gunter Heun. An diesem Premierenabend zumindest keins.

Die Rolle lebt vom gesprochenen Wort und das kann Gunter Heun in vielfältiger Weise einsetzen. Mal leise, mit Pause, mal laut und temporeich aber immer pronounciert. Im Werk von Lot Vekemans kommt es auf jede Silbe an, oft geht es um die tiefere Bedeutung der Vokabeln und um Doppeldeutigkeiten. Dieses Spiel mit der Sprachen beherrscht der Vortragende an diesem Abend. Doch das entscheidende Wort, der verbotene Namen, der fällt zuerst nicht.

Doch es ist kein Vortrag, Darsteller und Werk werden gleich am Anfang eins. Im direkten Dialog mit dem Publikum bleibt kalkuliert unklar, ob nun gerade Heun oder Judas spricht, als er über den geprellten Eintrittspreis und das schlechte Gewissen sinniert. Sind Heuns Krücken nun echte Gehhilfen oder nur ein theatralisches Attribut? So richtig klar wird dies nie, aber das tut der Aufführung keinen Abbruch.

Auf dieser Studiobühne ohne Rampe treffen sich Publikum und Darsteller mehrfach auf Augenhöhe. Der direkte Kontakt ist immer da und das macht dieses Spiel so intensiv. Wegschauen ist nicht möglich. Weder können sich die Besucher in die Zuschauerrolle zurückziehen, noch bleibt dem Dartsteller die Flucht in die Tiefe des Raums. Das macht dieses Werk und seine Inszenierung so eindrucksvoll. Niemand bleibt unberührt. Publikum und Schauspieler treten in Wechselwirkung.

Judas ist verzweifelt.
Angekündigt wurde das Stück als Monolog für einen Schauspieler. Aber vielleicht trifft die Bezeichnung Dialog mit dem Publikum die Gandersheimer Inszenierung besser. Heun klärt zuerst die Erwartungen des Publikums, denn Erwartungen spielen eine große Rolle in diesem Stück. Auch das Verhältnis von Jseus und Judas war von Erwartungen geprägt, die nicht erfüllt wurden.

Er will sich nicht verteidigen, er will erklären, betont Judas zu Beginn. Er erzählt nicht die bekannte Geschichte, er erzählt seine Lebensgeschichte. Judas berichtet von den Problemen in seiner Familie. Die Sprache ist klar und analytisch, nur der Bewegungsdrang und die Mimik des Darstellers lassen die kalte Wut erahnen, die zu den bestimmenden Momenten im Leben des Judas Ischariot gehörte.

Im Laufe der Aufführung verwandelt sich diese kalte Wut in Verzweiflung. Der Wandel ist von langer Hand vorbereitet und Gunter Heun setzt ihn in beeindruckender Weise um. Der Bewegungsdrang wird zum Erklärungsdrang und der Darsteller kommt auch mal zur Ruhe. Die kurzen Pausen machen das gesprochene Wort umso eindringlicher. Die Pausen dienen der Akzentuierung, nicht dem Luft holen.

Es gilt das gesprochene Wort, ist Motto des Abend. Dennoch bleiben einige Bilder in Erinnerung. Zweimal stilisiert Heun den Gekreuzigten. In der Vekeman'schen Logik war der Freitod Judas unausweichlich. Handeln war Folgen und einer muss die Verantwortung übernehmen, ist das Credo des Ischariots. Weil die Anderen dazu unfähig waren, musste er es tun. Somit starb er für ihre Sühnden.

Letztendlich ist auch Judas ein Gekreuzigter.
Das zweite starke Bild ist der hockende Judas, der seine Wut in den Boden prügelt. Gerade hatte er erkannt, dass sein Verhältnis zu Jesus scheitern musste, weil sie von unterschiedlichen Voraussetzungen ausgingen, die gegenseitigen Erwartungen und die Ziele nicht deckungsgleich waren.

Je mehr er erzählt, desto mehr ändert sich auch die Rollenzuweiung. Vom Verteidiger in eigener Sache wird Judas zum Ankläger. Er spricht über die Bigotterie der anderen und deren Unfähigkeit zum Handeln. In Othello zeigte Heun unter der Regie von Christian Doll 2013 den minutiösen Verfall eines Helden. Hier kehren die Beiden den Verlauf um. Zwar wird der Anti-Sympath Judas nicht zum Everbody's Darling, aber er wird verständlich. Die Titelfigur wird Stück für Stück aufgebaut . Diese Inszenierung eröffnet dem Publikum eine andere Sicht auf die Dinge, so, wie sie hätten auch sein können. Das ist vielleicht einer der Momente, an denen sich das Leben spaltet.

Für die Titelfigur hat diese Weggabelung ein gutes Ende. Sie ist am Ende in der Lage, den eigenen verfemten Namen endlich laut und deutlich und mit einer Spur Stolz auszusprechen: Judas. Am Anfang war das Wort und alles bekam einen Namen. Somit ist „Judas“ nicht nur ein Name. Es ist die Genese eines Menschen, der wirklich gelebt hat. Aber einen Freispruch gibt es für den Verräter am Ende doch nicht. Das war auch nicht das Ziel.



Die Domfestspiele 2015
Judas - das Stück

Die Seite mit Gunter Heun
Der Regisseur Christian Doll
Dramaturg Florian Götz

Kritik zur Aufführung 2016



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