Dienstag, 28. April 2015

In einhundert Jahren noch einmal

Ein Versuch, sich dem Phänomen Puhdys zu nähern

Prolog: Vorweg sei eine persönliche Sellungnahme erlaubt. Ich hätte nie gedacht, dass ich noch einmal ein Rockkonzert besuchen werde, bei dem ich unter dem Altersdurchschnitt liege, und zwar deutlich. Das Konzert der Puhdys in Northeim hat mich eines besseren belehrt.

Ausverkauft und das schon seit Monaten.
Alle Fotos: tok 
Ausverkauft und zwar seit Monaten hieß es schon im Vorfeld. Der Veranstalter hatte sich ein Abendkasse gespart, weil es nicht zu verkaufen gab. Dennoch müssen zwei Männer an der Tür zahlreiche Nachzügler abweisen. Die Puhdys ziehen halt immer noch ihr Publikum und das zeichnet sich in allen Belangen durch das Attribut "treu" aus. Da ist nicht nur die Treue zur Musik, da ist auch die Treue zum Dress-Code der guten alten Zeit. Jeans ist Pflicht, Minipli, Stirnfransen und karierte Flanellhemden feiern an diesem Abend eine Auferstehung.
Die Liebesbeziehung zwischen den Puhdys und Northeim ist alt, sehr alt. 1978, vor siebenunddreißig Jahren, traten die DDR-Rocker das erste Mal hier auf. Ja, auf der ersten Westtournee machten die Stars aus dem Osten Station in der südniedersächsischen Kleinstadt. Northeim spielte auf einmal in derselben Liga wie Hamburg oder Frankfurt. Der Duft der weiten Welt in der Provinz. Die Puhdys, das war der erste Rock-Act in der neuen Stadthalle und auch für lange Zeit der letzte. Nach dem Konzert beschlossen die Stadtväter ein Rock-Verbot für Northeims gute Stube. Die Stadthalle musste nach dem Puhdys-Auftritt zwei Tage lange gesäubert werden. Das hatte was von Rolling Stones auf der Berliner Waldbühne. Heute beschränkt sich die Rebellion der Puhdy-Fans auf das Verlassen der Sitzplätze und das Sitzen auf den Treppen.
Ach ja, dann waren die Puhdys ja auch 1999 noch mal da, zum Abschiedskonzert auf der Northeimer Waldbühne. Die Stadthalle hingegen brannte schon 1986 ab und wurde durch eine Neue ersetzt, auch der Nachfolger steht vor der Schließung, die Northeimer Waldbühne wird schon lange nicht mehr "bespielt". Damit ist das Konzert der Puhdys eben auch eine Reise in eine glorreiche Zeit, als Top-Acts auch in kleinen Städten und kleinen Hallen spielten. Verdammt lang her.
Nur das Lagerfeuer fehlte noch. 
Die Formulierung "aus der Zeit gefallen" hat gerade Konjunktur. Die Puhdys und ihre Fans in Northeim, das ist eher gut konserviert. Das ist eine Liebe, die so lange gehalten hat, weil man sich so selten gesehen hat in den letzten 37 Jahren. Schon bei den ersten Akkorden klatscht das Publikum mit, brausen die "Heeeh"-Rufe. Das wird sich den ganzen Abend nicht ändern, vom ersten bis zum letzten Takt.
Puhdys und "Alt wie ein Baum" oder Puhdys "Wenn ein Mensch lebt", das sind Reflexe, die funktionieren seit 40 Jahren. Doch im ersten Set gibt es durchweg aktuelle Songs. Auch wenn die Ostberliner und die Südniedersachsen nur eine Fernbeziehung pflegen, der Liebe tut das keinen Abbruch. Das Publikum kennt sie alle Lieder und singt die Refrains euphorisch mit.
Aus der Zeit gefallen ist die Musik der Puhdys schon. Das Schema funktioniert seit mehr als 40 Jahren. Vierviertel Takt, fünf Akkorde, erst die quäkende Stimme von Dieter "Maschine" Birr und dann der vollmundige Chorus. Die Musik der Puhdys ist verlässlich und das schätzt das Publikum, über die Grenzen von Zeit und Raum hinweg. Während andere Bands aus der gleichen Ära eine Entwicklung hinter sich haben, klingen die Ostberliner immer wie im Sommer 1969. Puhdys, das ist die Konserve eines Lebensgefühls.
 Aber wer sagt eigentlich das die Puhdys Rockmusik machen? Das ist ein Gerücht, dass sich seit mehr als 40 Jahren hält. Wikipedia sortiert das Quintett gar unter Hardrock ein. Das ist wohl ein grandiose Fehleinschätzung. Es ist doch wohl eher Schlager mit Rock-Attitüde. Der mehrstimmige Gesang ist nicht Deep Purple, da klingen eher die Hollies durch. Und, Hände nach oben, jede Menge 70er-Jahre-Stadion-Rock-Gefühl.
Peter "Eingehängt" Meyer hält die Band zusammen.
Es gibt viele Akustik-Gitarren an diesem Abend. Die Puhdys sind ja schließlich auf Akustik-Tour. Drei Männer mit Klampfe, das versprüht ein wenig den Hauch von Zelten und Lagerfeuer. Erinnerungen an die Jugend werden wach, an eine Zeit vor dem Ghetto-Blaster oder MP3-Playern.
Ach, die Puhdys, das sind zwar Herren um die 70, aber im Grunde ihres Herzen, da sind das junge Knaben, die nur eins wollen: Spielen. Das ist die Botschaft dieses Abends und ein wenig Knaben oder wieder junges Mädchen sein, das wollen an diesem Abend viele sein.
Textlich geht es bis zur Pause vor allem um das Altwerden und den Wert der Freundschaft. Romatik statt Revolte, die Puhdys waren nie die Revoluzzer oder, wie City, die Vertreter des DDR-Untergrund. Mit diesen Konzepten können sie als Stammväter solcher Bands wie Santiano gelten.
Zum Puhdys-Mythos gehört auch das Kumpelhafte und Sprüche, die nach 1989 Geborene wohl nie mehr verstehen werden. Die Puhdys und ihr Publikum, das ist wie eine große Familie und die Spitzname, die kennt jeder und die Entstehungsgeschichte dieser Zweitnamenwohl auch. Na ja, und die dreiköpfige Verstärkung, die auf der Bühne steht, das sind eben die Söhne von Maschine, Quaster und von Drummer Klaus Scharfschwerdt. Jetzt müsste nur noch jemand ein Picknick-Decke rausholen und alles wäre perfekt. Doch Picknick-Decken für mehr 900 Zuhörer, die gibt es nicht.
Das zweite Set beginnt als Ulk-Teil, wie auf einer Familienfeier, auf der irgendwann mal die lustigen Tanten aufstehen und einen Sketch vorführen. Quaster darf sich als Operettensänger versuchen und Peter "Bimbo" Rasym darf auf dem Bass auch mal funky slappen.
Doch dann geht es ans Eingemachte, der Kult-Block kommt. Schon bei den ersten Akkorden von "Geh zu Ihr" tost die die Stadthalle, bei "Wenn ein Mensch lebt" singt das Publikum lauthals von Anfang bis Ende mit und bei "Alt wie ein Baum" ist Maschine arbeitslos. Die Fans haben die Regie übernommen.
Auch wenn im Sommer definitiv Schluss ist, so möchten doch jeder an Maschines Ankündigung glauben, dass man sich am 25. Mai 2115 in Northeim wiedersieht. Denn Puhdys, dass ist das Versprechen des endlosen Sommers von 1969, das "Forever Young" auf Ostdeutsche. In diesem Abend in der Stadthalle war der Zauber von damals wieder da.



Das erste Interview mit Peter "Eingehängt" Meyer
Das zweite Interview


Die Puhdys bei wikipedia
Die offizielle Puhdys-Homepage

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