Dienstag, 11. November 2014

Stück für einen Schauspieler und sechs Puppen

Patrick Jech spielt mit der Weihnachtsgans Auguste


Eigentlich ist von Anfang an klar, dass die Gans zu Weihnachten nicht im Bräter landen wird. Aber wie das schwarzweissfigurentheater "Die Weihnachtsgans Auguste" zum guten Schluss kommen lässt, das ist das Allerschönste. Patrick Jech und Bianca Sue Henne ist eine Inszenierung gelungen, die Kinder und Erwachsene auf sehr unterschiedliche Weise verzaubert, weil in ihrer Aufführung zwei Ebenen miteinander verwoben sind, die beiden Ansprüchen gerecht werden. Auch Tammo, acht Jahre alt und der härteste aller Kritiker (siehe hier), zeigte sich zufrieden.
Mit einem Monolog und einer Strumpfpuppe fängt
alles an. Alle Fotos: Toni Burckhardt
Da ist die Geschichte um die Gans Auguste, die Freundschaft schließt mit dem sechsjährigen Peter, und da ist die spitzfindige und anekdotenreiche Darstellung einer Familie mit Großmutter und pubertierender Tochter, mit Vater, der gern Held wär, immer wieder geerdet wird, und der Mutter, die sich aus allem raushält, aber alles besser weiß. Dank dieser beiden Strängen kommen Kinder und Eltern zu ihrem Recht.
Der Opernsänger Leopold Löwenhaupt besorgte im November eine Gans, zu Weihnachten als Braten dienen sollte. Doch der Sohn Peter freundete sich mit dem Federvieh an. Der Versuch des Schlachtens wird zum Debakel. Das Tier überlebt und der Vater steht als verhindeter Mörder da. Auch der Trick mit dem Tabletten funktioniert nicht und zum Schluss triumphiert das Federvieh über den Menschen. Die Vorlage von Friedrich Wolf hat einige Anpassungen erfahren. Von drei Kindern sind zwei übrig geblieben: Peter und seine vierzehnjährige Schwester Elli. Die ist zeitgemäß Vegetarierin und situationsbedingt altklug. Aus der Haushälterin Theres wurde die Großmutter Theresia, immer noch Hausherren und mit dem Treiben ihres Sohns Leopold überhaupt nicht einverstanden.
Peter und die Gans freunden
sich an.
Die Perspektive reduziert die Aufregung auf ein kingerechtes Maß. Leopold Löwenhaupt erzählt. Vor der nächsten Aufführung von Humperdincks "Hänsel und Gretel" erinnert er sich an die Ereignisse des letzten Jahres. Das Schlimmste liegt also schon hinter uns. Die Bühne ist mit ihrem Schminktisch ist eindeutig als Künstlergarderobe zu erkennen.  Man weiß nicht, ob die Übungen, die Peter Jech absolviert, der Vorbereitung auf "Hänsel und Gretel" oder der Vorbereitung auf die Weihnachtsgans dient. Egal, jedenfalls lenkt er den Blick der Kinder auf sich. Er wirkt aber nicht, wie ein großer Impressario. Mit seiner Aktentasche voller Requisiten ist er eher ein fleißiger Kulturangestellter, der Mann vom Theater nebenan, eben einer von uns, mit sein alltäglichen Problemen.
Kernstück des Bühnenbilds ist der Schminktisch, der mal Requisite ist, mal die Bühne für das Figurentheater ist. Dann gibt es noch einen Stuhl, einen Paravent und einen Weihnachtsbaum. Bianca Sue Henne und Peter Jech gelingt es, mit wenigen Stücken eine ganze Welt zwischen Theater und Eigenheim zu schaffen.
Peter Jech beginnt seine Erinnerungstortur als Monolog mit einer Strumpfpuppe. Mit wenig Mimik macht er das Elend des Vaters deutlich, der sich als Held fühlt und bei seinen Liebsten doch abblitzt. Seine Familie, dass sind fünf einfache Puppen, die Peter Jech in einer Doppelrolle als Akteur und Erzähler bedient. Die Kinder kommen damit klar. Der Schminktisch ist nun Bühne und Heim der Familie Löwenhaupt und auch dies ist nachvollziehbar. Später gibt es noch eine kurze Sequenz Kasperltheater und Schattentheater am Paravent.
Überhaupt ist die Ausstattung voller Details, die das sehende Publikum schmunzeln lassen. Da ist das Comic "Gans im Glück", der Weihnachtsbaum aus Plastik, der dritte grün-weiße Pullover zum Fest und vieles Mehr.
Zum guten Schluss erlebt die Gans ihre Wieder-
auferstehung 
zur Weihnachtszeit. 
Dem schwarzweissfigurentheater geht es nicht darum, zu zeigen, was alles möglich ist und auch das ist gut so. Jedes eingesetzte Mittel, jede Technik entwickelt sich aus der Erzählung und hat seinen logischen Platz. Das sieht auch der Härteste aller Kritiker so, auch wenn er sich in der Albtraumszene noch ein wenig mehr Grusel gewünscht hätte. Aber das ist situationsbedingt altklug. Für die jungen Zuschauer bedeutet der Wechsel der Erzählmittel mehr Tempo, für die Eltern ist es Vertiefung des Genusses. Dabei ist es dann klar, dass nicht immer alle an den selben Stellen lachen.
Der Wiedererkennungswert für die anwesende Erziehungsberechtigten steigt, als der Trick mit den Schlaftabletten auf den ersten Blick funktioniert. Nun kommt Vater Löwenhaupt in arge Erklärungsnöte und versucht mit Fantasie, das Schlamassel, den Gordischen Knoten zu lösen. Wie in jedem guten Märchen kommt ihm der Zufall zur Hilfe und zum guten Schluss löst sich alles in Wohlgefallen auf und die Ganswird mit der Verleihung eines Pullovers offiziell in den Kreis der Familie aufgenommen. Das junge Publikum freut sich, dass es eine schöne Geschichte um eine Gans erlebt hat, die es nachvollziehen kann, weil die Figuren so lebensecht sind. Das ältere Publikum freut sich, dass es eine Geschichte um eine Familie erlebt hat, die es nachvollziehen kann, weil die Figuren so lebensecht sind.

Die nächsten Aufführungen sind am 27. und 28. Dezember.

Das schwarzweissfigurentheater

Spielplan am Theater Nordhausen
Die Weihnachtsgans Auguste

Der härteste aller Kritiker - Teil eins
Der härteste aller Kritiker - Teil zwei
Der härteste aller Kritiker - Teil drei
Der härteste aller Kritiker - Teil vier
Der härteste aller Kritiker - Teil fünf
Der härteste aller Kritiker - Teil sechs



Sonntag, 2. November 2014

Alle sind auf der Suche, einige finden sich

Matthias Kaschig inszeniert einen rasanten Sommernachtstraum am DT

Der Sommernachtstraum ist  Shakespeares erfolgreichstes Stück, wenn man die Anzahl der Aufführungen zu Grunde legt. Schließlich steckt der Stoff voller wundersamer Geschichten und zahlreicher Handlungsstränge, die zum Schluss doch zusammenlaufen. In seiner Inszenierung am Deutschen Theater hat sich Matthias Kaschig auf einige wenige Aspekte konzentriert. Herausgekommen ist eine Komödie über sexuelle Findung, gepaart mit bunten Slapstick. Alles zusammen in einem rasanten Tempo.
Die Aufführung setzt mittendrin ein. Hermia, Lysander, Helena und Demetrius stehen ins Schüleruniformen auf der blanken Bühne. Sie stimmen "Underneath the Mango Tree" an, ein Calypso aus dem ersten Bond-Film, und trällern vom Liebesglück. Wie verliebte Teenager es halt manchmal so tun.
Nun beginnen die Rangeleien. Jeder schubst jeden, zerrt an dem anderen, will Arm in Arm unterhaken und wird abgewiesen. Mit einfachen Mitteln ist es Kaschig gelungen, die Diskrepanz zwischen Wunsch und Bühnenrealität umzusetzten. Hermia liebt Lysander und Lysander liebt Hermia, aber Demetrius liebt auch die Hermia, während er die Liebe Helenas sehr deutlich verschmäht. Der Reigen kann beginnen und vorläufig bleibt es Rahel Weiss in der Rolle der Helena vorbehalten, Akzente zu setzen. Gleiche gelingt Katharina Uhland im dritten Akt. Emre Aksizoglu darf leider nur im Schrei-Modus agieren.
Zettel hat keinen Traum, aber eine Vision vom
besseren Theater. Alle Fotos: DT/Austin
Leider sind der Dramaturgie einige Eckdaten zum Opfer gefallen. Der Konflikt Theseus - Hippolyta, der Streit zwischen Hermia und ihrem Vater Egeus um die angestrebte Zwangsheirat mit Demetrius kommt nicht zur Sprache, auch der Streit zwischen Oberon und Titania, zwischen Feen und Elfen wirkt weichgespült.Dadurch verschenkt eine Menge an Potential, an Erzaehlbaren und an Erklärungen.  Damit wird der Sommernachtstraum aufweise Tennisturnier reduziert. 
 erschließt sich nur, wenn man Shakespeares Vorlage im Hinterkopf memoriert, zum Beispiel die Einordnung der Theatertruppe.
Teenager Abgang, Auftritt Handwerker. Nun beginnt eine amüsante Revue zum Thema Amateurtheater im Wechselspiel von Belanglos, Überfordert und Überambitioniert. Gerhard Zinck ist von Anfang drin in der Rolle des Zettels, der versucht, alle an die Wand zu spielen. Mit großen Gesten und  verklärter Mimik karikiert er den Handwerker, der sich zu Höherem beruft fühlt, seine Chance gekommen sieht und natürlich als Esel scheitern muss.
Nachdem nun die beiden Motive auf karger, reduzierter Bühne eingeführt wurden, da kommt mit Getöse das gute Stück zum Einsatz. Einen Zauberwald gewissermaßen in der Vertikalen hat Michael Böhler für diese Inzsenierung umgesetzten. Das mehrstöckige Gebäude, das drohende Fratze und Versteck zugleich ist, gibt die technische Basis für eine Parallelität der Ereignisse.
Die Elfen bewundern den verzauberten Zettel.
Es ist sicherlich eine nette Idee, die Rolle von Oberon und Titania gewissermaßen im Transgender-Modus zu vergeben. Karl Miller in der Rolle der Elfenkönigin sorgt für die lasziven Frank'n'Furter-Momente in dieser Aufführung. Gaby Dey bleibt als Oberon zu wenig Platz, um ihre Qualitäten auszuspielen. Sie muss sich auf das Rezitieren beschränken, das gibt der Rolle ein deutliche Hölzernkeit. Einzig Benedikt Kauff als Puck erweitert hier das Spektrum. Sein Troll ist fast schon ein Mephisto, aber auf jeden Fall mit jeder Menge diabolischer Mimik und Sprachvermögen.
Matthias Kaschig konzentriert sich auf die Findung der Liebespaare Lysander - Hermia und Helena - Demetrius. So wirkt dann die Auflösung des Handwerker-Strangs ein wenig unmotiviert, weil ihr die Einordnung in die Gesamtgeschichte abhanden gekommen ist. Dafür entschädigt er uns mit einem rasanten Reigen von Slapstick-Elementen und das Publikum bedankt sich mit jeder Menge Lacher.



Das Stück in der Selbstdarstellung

Der Sommernachtstraum am Jungen Theater
Der Sommernachtstraum als Tanztheater in Nordhausen