Sonntag, 28. September 2014

Rasante Reise durch die Gefühlswelt

Stefan Gwilidis und die NDR Bigband begeistern beim Auftritt in Herzberg

Prolog: Das Konzert der NDR Bigband mit Stefan Gwildis im Februar 2014 in Göttingen war ohne Umschweife das beste Konzert, das ich je erlebt habe. Es war einmalig, doch ich wollte dieses Glücksmoment noch einmal wiederholen. Als mir die Presseabteilung des NDR mitteilte, dass die Bigband und Gwildis im September nach Herzberg kommen würden, war mir klar: Da muss ich hin.

Als sich Stefan Gwildis, Jörg Achim Keller und die NDR Bigband Anfang 2013 trafen, um das Album “Das mit dem Glücklichsein” aufzunehmen, war dies ein Glücksfall für die deutsche Jazzszene. Dass sich diese Kombination am Freitagabend zum Konzert in der Aula des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums zusammenfand, entpuppte sich schnell als musikalischer Glücksfall für die Welfenstadt und die Jazzszene im Harz. Schon zur Pause bedankte sich das Publikum mit standing ovations.
Stefan Gwildis hat das besondere Gefühl.
Alle Fotos: tok
Seit dem Frühjahr 2013 sind die 18 Musiker des NDRs und der Soulsänger mit dem gemeinsamen Programm unterwegs. Zwischenzeitlich gab es eine Goldene Schallplatte und den Platz eins in den Download-Charts von Amazon für “Das mit dem Glücklichsein”. Im Rahmen der Niedersächsischen Musiktage sorgte die Sparkassenstiftung für den Auftritt in Herzberg, schließlich ist “Glück” in diesem Jahr das Thema der Konzertreihe.
Seit seinem Solo-Debüt 2003 mit der CD “Neues Spiel” gilt Stefan Gwildis als der deutsche Soulman. Der gebürtige Hamburger versteht es auf einmalige Weise, bekannten Songs neues Leben einzuhauchen. Er stellt den amerikanischen Originalen eigenständige deutsche Texte entgegen, interpretiert sie neu und zeigt damit neue Facetten an bekannten Material. So machte er einst aus dem Klassiker “Papa was a Rolling Stone” das Stasi-Bewältigungslied “Papa will hier nicht mehr wohnen”. Wie kaum ein anderer schafft es Gwildis mit Bildern komplexe Geschichten zu erzählen. Es sind verliebte Geschichte, traurige Geschichten, persönliche Geschichten. Die Songs erzählen von Freud und Leid, Eifersucht, Trennung und Schmerz und vom Neuanfang. Es sind Geschichten, die das gesamte Leben widerspiegeln und doch nicht im Selbstmitleid versinken. Zur Not hilft immer eine Runde tanzen über das Ärgste hinweg. Das ist Gwildis Botschaft. Deswegen liebt das Publikum den großen Jungen aus Hamburg und damit punkte er an diesem Abend auch in Herzberg.
Ingolf Burkhardt kommt erst spät zum Solo.
Doch den Anfang macht die NDR Bigband ohne den Sänger und zeigt gleich, wo es langgehen wird. Kraftvoll, druckvoll und temporeich steht zuerst Duke Ellingtons “Empty Ballroom Blues” auf dem Programm. Es soll das einzige Stück an diesem Abend bleiben, dass sich eindeutig dem Swing zuordnen lässt. Danach gibt es einen Streifzug durch alle Genres des Jazzs: Blues und Bebop mal in großer Besetzung und Cool Jazz bei den Trompeten Soli von Ingolf Burkhardt. Diese Vielfalt ist unter Jörg Achim Keller immer mehr zum Markenzeichen der NDR Bigband geworden. Er hat es geschafft, ein großes Ensemble zu einem großartigen Klangkörper mit ausgezeichneten Individualisten werden zu lassen. Rainer Tempel brachte am Freitagabend am Dirigentenpult übernommen eine neue Note in diese Musik-Cocktail.
Sofort mit den ersten Tönen ist der einzigartige NDR-Sound dar: Kraftvoll, mit viel Druck und trotzdem rund. Selbst aus der geschlossenen Formation heraus kann man noch einzelne Instrumente identifizieren. Die NDR Bigband bezeichnet sich selbst als ein Kollektiv improvisierender Solisten. Was das heißt, zeigen Fiete Felsch und Stefan Lotterman mit ihren Soli am Altsaxofon und an der Posaune.
Vladislav Sendleski ist der Mann an den Tasten.
Wie Stefan Gwildis mit wenigen Worten komplexe Geschichte entwickeln kann, zeigt sich beim zweiten Song. Während das Original “Windmills of Your Mind” vom Kopf-Karussell bei Liebeskummer berichtet, haben Texter Michy Reincke und Gwildis die Geschichte weitergesponnen und erzählen vom Zusammentreffen der Enttäuschten, die sich nicht mehr binden können. Dem kargen Original hat Jörg Achim Keller der Bigband ein verspieltes Arrangement auf den Klangkörper geschrieben. Deswegen darf Gwildis auch mal in den Scat-Gesang verfallen. Mit dem Charme eines Mannes, der wohl nie erwachsen werden will, hat Stefan Gwildis Publikum in Herzberg im Griff. Der Funke springt gleich über und es entsteht sofort ein Wechselspiel zwischen Bühne und Auditorium. Die ausverkaufte Aula geht auf seine Spielchen ein. Sagt er “wow”, dann antworten seine Zuhörer mit einen “wow”. Einzigartig ist die ordentliche Portion Selbstironie, mit der er beim “Aaah” und “Ooh”-Spiel jongliert. Es ist aber auch diese besondere Stimme des Autodidakten Gwildis, die mitreißt. Mal im euphorischen Tenor, mal im traurigen Bariton trifft er immer den richtigen Ton. Mal erinnert er an Sinatra, mal überschlägt er sich wie Al Jarreau und klingt doch wie Gwildis. Er imitiert nicht, diese Vielfalt an Stilen ist eben das Vermächnis des Jazz.
Dazu trägt Stefan Gwildis den Soul bei. Der Gesang ist leidenschaftlich und emotional bis zum Exaltierten, aber immer authentisch. Da wirkt nichts aufgesetzt und deswegen mag das Publikum den Hamburger so sehr. Zwischen den euphorischen Songs wie dem Lehnlied oder dem Mondglanz nach Van Morrisons Moondance kommen auch die stillen Momente in “Das mit dem Glücklichsein”. Als Stefan Gwildis vom Selbstmord eines langjährigen Freunds erzählt, ist es schlagartig still im Saal. Auch die gesungene Geschichte seiner ersten Scheidung zwingt da Publikum zum Zuhören. Doch mit wenigen Worten holt er nach dem Song die Zuhörer wieder raus aus dem Tief. Selbst nach zwei Stunden gelungenes Entertainment hat das Publikum nicht genug. Mit standing ovations fordert es mehr und es darf kein Gwildis-Konzert ohne die Hymne “so süß, wie sie da liegt und schläft” zu Ende gehen. Jetzt lassen sich ogar Sparkassen-Vertreteraus der Reserve und den Sitzen locken. Alle singen minutenlang mit. Zur Beruhigung schicken Stefan Gwildis und die NDR Bigband das Publikum mit “Lassmich nicht allein heut’ Nacht”, ihrer Version von John Hiatts “Have a little Faith in me” auf den Heimweg. Am Ende des Abends bleibt ein beglücktes Publikum und eine hocherfreute Hausband des Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasiums. Immerhin durfte Unisono schon am Nachmittag einen Workshop mit Bandleader Rainer Tempel veranstalten und mit “Sing, sing, sing” das Konzert eröffnen.

Epilog: Auch nach einem guten halben Jahr, ist deutlich, dass diese Glückskombination so gut funktioniert, weil alle Beteiligten Spaß haben an dem, was sie machen, dass sie sich deswegen immer wieder zu Höchstleistungen beflügeln und das jedes Konzert einmalig ist.

Die Gwidis-Homepage
Die NDR Bigband

Das Konzert in Göttingen
Das Interview zum Konzer

Montag, 22. September 2014

Willkommen im Zauberwald

Die Zauberflöte überzeugt in allen Bereichen


Auch auf die Gefahr hin, in Phrasendrescherei zu verfallen. Diese Oper ist zauberhaft. Die Inszenierung am Theater für Niedersachsen überzeugt in allen Belangen und damit ist Volker Vogel ein großer Wurf geglückt. Es ist ihm und seinem Team gelungen, Mozarts beliebtestes Werk werkgetreu weiterzuentwickeln. Er greift alle Fäden und Motiven in diesem handlungsreichen Musiktheater auf und führt sie konsequent und facettenreich in die Jetztzeit vor, ohne den Geist des Stücks zu entkernen. Wer sich einen Abend lang verzaubern lassen will, der findet in der Zauberflöte des TfN genau die richtige Inszenierung.
Basis des Erfolg sind das großartige Bühnenbild und die fantasievollen Kostüme von Norbert Bellen, der mittlerweile zu den gefragtesten Bühnenbildnern Deutschlands gehört. Er nur schauen möchte, der erfreut sich an den prächtigen Bauten. Wer verstehen möchte, der sieht überall die Symbole der Freimaurer. Denn die Zauberflöte ist auch ein Werk über Erkenntnis und das ewige Spannungsverhältnis Vernunft, Weisheit und die menschliche Natur. Es geht auch um die Frage, ob die Menschen in der Lage sind, den Schleier der Unkenntnis zu lüften und zur Wahrheit vorzudringen.
Letztlich schafft es Papageno doch, die
bösen Geister zu vertreiben. Fotos: Quast
Diesen Schleier zeigt uns Bellen immer wieder, wenn die Rampe und die Hinterbühne optisch getrennt werden und der Hintergrund mal schemenhaft, mal unklar und drohend erscheint. Aber es ist auch ein Bühnenbild, das es schafft, die Pracht klassischer Werke in  das Hier und Jetzt zu transponieren. Der Zauberwald ist ein Zauberwald und bleibt ein Zauberwald und der Tempel der Erkenntnis hat eben doch Säulen.
Doch erst durch die Lichtführung kommt Bellens Konzept richtig zur Geltung. Einerseits herrscht Glanz und Klarheit, während andere Teile in der Dunkelheit verschwinden. Dann wechselt die Beleuchtung und die Bühne ist in voller Tiefe sichtbar. Doch schon im nächsten Augenblick ist das Publikum beim Solo ganz auf den Akteur im Spot konzentriert. Die strahlenden Helden kontrastieren mit der zwiespältigen Königin der Nacht im diffusen Schein, so malt man Charaktere mit Licht.
Dieses Konzept der vorsichtigen Transformation setzt Bellen bei den Kostümen fort. Natürlich  tritt Papageno im Vogelkostüm auf und die Tiere tragen Masken, die an allemanische Fastnacht erinnern. Doch der Rest des Ensemble ist opulent aber gegenwärtig gekleidet. Die Zauberflöte am TfN istzwar Ausstattungstheater, aber keins, das im Historismus ertrinkt.
Pamina und Tamino werden von Saratros(mitte) harten
Prüfungen unterzogen. Foto: Quast.
Auch auf die Gefahr hin, in Phrasendrescherei zu verfallen. Das beste Bühnenbild nützt nichts ohne Schauspieler und ohne Regie. Volker Vogel hat ein glückliches Händchen mit seiner Besetzung. Das Ensemble überzeugt mit Geschlossenheit, eine Schwachstelle kann man nicht ausmachen. Unter der vorsichtigen Regie scheinen alle zu großer Form aufzulaufen. Nur Konstantin Klironomos in der Rolle des Tamino  braucht bis zur 4. Szene im ersten Akt, bis er stimmlich in der Aufführung angekommen ist. Bis dahin singt zurückhaltend und wirkt wie ein Held mit angezogener Handbremse. Peter Kubik als Papageno und Antonia Radneva in der Rolle der Pamina singen so ein schönes Duett, dass man fast dahin schmilzt und den Wunsch hegt, das Libretto schnell mal umzuschreiben. Diese beiden Stimmen passen einfach zueinander und lassen dem Gegenüber auch genug Raum. Mit glasklarer Stimme und einer enormen Dynamik ist Martina Nawrath die Idealbesetzung für die energische und rachsüchtige Königin der Nacht.
Auch die heimlichen Stars sind an diesem Abend Mareike Bielenberg, Neele Kramer und Theresa Hoffmann als die drei Damen. Das ist ein Trio auf Augenhöhe, dass sich dort um den Jüngling streitet und somit der Inszenierung einen Einstieg verleiht, der besser nicht sein könnte. Auch die zurückhaltende Leitung von Werner Seitzer trägt seinen Teil zum überragenden Gesamteindruck bei. Hier übertönt niemand den anderen.
Aber es sind auch die kleinen, liebevollen Einfälle, die den verspielten Geist Mozarts aufnehmen und fortführen und diese Inszenierung damit so sehenswert machen, wie zum Beispiel die drei Knaben, die in der Gondel vom Himmel herabschweben. Oder die Sklaven, die unter dem Diktat des Glockenspiels ein Menuett tanzen und ballerinahaft abgehen. Volker Vogel beweist genug Selbstironie, für diese Oper, die gelegentlich mit Handlungssträngen und mit Erwartung überfrachtet wird



Spielplan am Theater für Niedersachsen
Die Zauberflöte

Der Regisseur VolkerVogel
Der Bühnenbildner Norbert Bellen




Freitag, 12. September 2014

Das geilste Konzert der Welt?

Jan Delay und Disko Nr. 1 eröffnen Soundcheck-Festival

Um in meiner Alters- und Gewichtsklasse 2.500 Kalorien vom Hüftgold loszuwerden, braucht es 2,5 Stunden auf dem Fahrrad, bei einem 30-er Schnitt wohl gemerkt. Bei Jan Delay und Disko Nr.1 schafft man es in der Hälfte der Zeit. Am Donnerstag macht der Chefstyler den Opener beim Soundcheck-Festival in Göttingen. Die 1.500 Zuschauer und ich, wir erlebten 75 Minuten Tempo, Party und Spaß. Besser kann man ein Festival nicht beginnen.
Jan Delay ist ein Magier. Alle
Fotos: Layda
Für sein aktuelles Album „Hammer & Michel“ musste sich Jan Delay Kritik und Spott gefallen lassen. Den Puristen ist das Werk zu rocklastig. Doch kann Jan Delay nicht erschüttert, deswegen hieß die Devise am Donnerstag: Volles Brett heißt die Devise in der ausverkauften Stadthalle. Noch bevor die Lichter angehen, hämmern die Gitarrenriffs von Wacken ins Publikum. Der Sound ist fett, die Bass-Drum wummert, die Snare scheppert, die Horn-Section macht Druck. Nur der Background-Chor hat anfangs Schwierigkeiten, durchzudringen. Die Beschallung liegt wohl an der Obergrenze dessen, was für das altehrwürdige Gebäude zulässig ist. Der Sänger betritt die Bühne, die Fans jubeln, die Party beginnt.
Jan Delay ist ein Magier. Vom ersten Augenblick an hat er die Zuhörer im Griff. Wenn der Meister sagt „Hüpft“, dann hüpft das Publikum. Wenn der Meister sagt „Still stehen“, dann steht das Publikum still. Diese Symbiose ist ein fester Bestandteil der Party und dafür bekommen die Fans auch 75 Minuten Hingabe und Extase geliefert. Die acht Musiker sind bestimmt nicht auf die Bühne gestiegen, um ihr Set abzuspulen. Die wollen auch spielen und dabei platzen sie fast vor Freude.
Jan Delay spielt mit dem Publikum und er spielt mit den Doppeldeutigkeiten. Mit Ironie erzählt er von den Herausforderungen des Großstadtlebens und seinen schrägen Helden. Wenn man den Text mal nicht versteht, macht es auch nichts. Die Musik spricht für sich.
Jan Delay und Disko Nr. 1 sind keine Combo, die ein perfektes Programm und eine durchgestylte Show liefern. Jan Delay und Disko Nr. 1 fluten die Stadthalle mit purer Energie und der Körper kann diesen Überschuss nur mit Bewegungsdrang abbauen. Die Füße können nicht stillstehen, der Arsch muss wackeln, die Arme zucken im Rhythmus, die Hände müssen klatschen. Deswegen können Männer meines Alters und meiner Gewichtsklasse locker 2.500 Kalorien vom Hüftgold abbauen in den 75 Minuten.
Natürlich steht das aktuelle Album im Vordergrund, aber die Show heißt immer noch Disko Nr. 1. Deswegen gibt es im kurzen Programm auch noch Nummer aus dem „Bahnhof Soul“ wie „Oh Johnny“ und auch „Mercedes Dance“. Jan Delay, dem Meister des deutschsprachigen Funk & Souls, gelingt an diesem Abend etwas, woran schon andere gescheitert sind. Er bringt schwarze Musik und harten Rock unter einen Hut und tanzbar bleibt es trotzdem. Vielleicht verstört dies die Puristen am meisten. Aber es war wohl keiner von ihnen an diesem Donnerstagabend in der Göttinger Stadthalle. Orthodoxie verträgt keine gute Laune. Weil es Dely ernst ist mit der Rockmusik, bringt er auch noch Stücke von Lennie Krawitz, den Beastie Boys und Blur. Die passen eben ins Konzept der bedingungslosen Party. Als „Sie kann nicht tanzen“ läuft, kocht die Stadthalle.
Diese drei können tanzen.
Die Band tanzt vor und wir, das Publikum, wir tanzen mit. Die Bläser hüpften wie zuletzt Jake und Elwood Blues und die Background-Vocals shoo-woow-dy-wappen wie einst die Supremes und das alles zu Rockgitarren. Und sie können das Tempo halten bis zur letzten Zugabe und das kann nur "Auf St. Pauli brennt noch Licht" sein. Was sonst?
Doch Vorkenntnisse sind an diesem Abend in der Stadthalle keine Voraussetzung für uneingeschränkten Konzertgenuss. Jan Delay und Disko Nr. 1 sind einfach der Hammer. Im nächsten Frühjahr kommen sie wieder nach Göttingen und dann geht die Party weiter. Er versprach am Donnerstagabend das geilste Konzert der Welt und wir, das Publikum, wir glauben ihm. Ich habe mein Ticket für den Hüftgold-Abbau schon.


Das komplette Konzert in der NDR-Mediathek

Die offizielle Delay-Website