Dienstag, 25. März 2014

Eine Annäherung an Schiller

Laberenz inszeniert die Jungfrau mit Studio-Appeal

Der Krieg ist immer eine Tragödie und deswegen muss Schillers "Johanna von Orleans" auch tödlich enden. Die Frage ist nur, wie der Weg auf den Scheiterhaufen führt. Mit seiner Inszenierung  hat Martin Laberenz eine zeitgemäße Annäherung an Schillers Stück über Berufung und Töten auf die Bühne des Deutschen Theaters in Göttingen gebracht, die eine Antwort auf diese Frage liefert und auch eine Neuinterpretation der Jungfrau ermöglicht.
Dass diese Aufführung ein Herantasten ist, ein Werkstück werden soll, macht der Einstieg deutlich. Der Vorhang ist offen, die Schauspieler sitzen auf der kargen Bühne, unterhalten sich, stehen auf,gehen, kommen wieder. Sie laufen sich warm für die Auseinandersetzung Ensemble gegen Schiller, ist der erste Eindruck. Hier wird gleich gearbeitet, schweißtreibend und nicht hochtrabend, und Schiller wird vom hohen Sockel des deutschen Nationaltheaters geholt.
Da sind immer wieder die Baumstämme.
Alle Fotos: DT/Nils Bröer
Ein paar Stühle,eine Madonnenstatue und immer wieder Holz. Auf jeden Fall weckt das reduzierte Bühnenbild von Volker Hintermeier Assoziationen an die Textarbeit des Studiotheaters. Die Reduktion erlaubt die Konzentration auf den Text, verleiht den Worten ein Übergewicht. Aber der Text ist nicht mehr derjenige von 1801. Er hat ein behutsames Facelifting erlebt. In dieser Inszenierung steht das Original gleichberechtigt neben aktuelle Formulierungen.
Ihren Höhepunkt erreicht der Zeitbezug beim  Duett von Meinolf Steiner als Graf Dunois und Andreas Jeßing als französischer Offizier La Hire. Da wird gewitztelt, gefrötzelt improvisiert und auch schon ausgeplaudert, wer zum Ende der Spielzeit das Ensemble verlassen wird. Das Publikum und die Souffleuse werden in das muntere Spiel in Talkshow-Manier einbezogen. Wie gesagt, Schiller wird vom hohen Sockel des deutschen Nationaltheater heruntergehoben, nicht heruntergestoßen.
Das Spiel mit dem Publikum ist Programm. Bereits in der ersten Szene sucht Florian Eppinger als Vater Thibaut D'Arc den Kontakt zu Zuschauer, als er seiner Tochter Johanna die Herren im Parkett als mögliche Gatten anpreist. Doch der Übergang von der Tragik in die Komik und zurück gelingt nicht immer so gut, wie an diesen Stellen, wirkt manchmal doch sehr gewollt.
Die Tochter steht derweil unter einem Baumstamm, dem Druidenbaum, und schweigt. In dieser an Requisiten armen Aufführung sind der Baum und Ast die zentralen Element. Er ist Lebensspender und Beschützer, sie sind Material für die Schanzen und den Scheiterhaufen. Immer liegt irgendwo Holz herum, liegt im Weg, ist Stolperfalle.
Vanessa Czapla (rechts) hat nur wenige
Momente des Zweifels. 
Zentrale Figur ist eben die Johanna und Vanessa Czapla wird den Erwartungen gerecht. Sie ist die Gottdurchleuchtete, sicher und bestimmt und im Auftrage des Herren unterwegs. Die Gestik ist fest und bestimmt, Die Stimme , lässt nur an den wenigen Stellen Unsicherheit erkennen, an denen Johanna zweifelt. Aber sie wird auch zum kalten Todesengel, als sie, die vermeintlich schwache Frau, den wallischen Feldherren Montgomery mit bloßen Händen erwirkt. Diese Lesart der Jean D'Arc ist eine der Neuerungen in der Inszenierung von Martin Laberenz. Auch das Vorspiel zu diesem Mord aus Berufung gehört zu den Höhepunkten des Abends. Durch einen schwarzen Gaze-Vorhang getrennt , in Gut und Böse geteilt, vermag es Vanessa Czapla in de Titelrolle, dem Schlachtenlenker auf der Flucht ihren Willen aufzuzwingen. Als er die Grenze überschreitet, ist er schon dem Tode geweiht. Als sie später die Rüstung der Berufung und der Jungfräulichkeit ablegt und sich in den englischen Anführer Lionel verliebt, ist auch sie dem Tode geweiht.
Die Dynamik bezieht diese Aufführung aus dem Kontrast zwischen Ruhe und Rasanz. Alle sieben Schauspieler singen und summen zu Auftakt einen Kanon, der vom Innehalten erzählt, erst dann mit das Drama seinen Lauf.Gerenne und Gestolper halten vor einen kurzen Moment inne als der Hof des französischen Königs nach dem Sieg bei Orleans zusammensitzt und wieder diesen Kanon singt und summt. Dann nimmt die Tragödie noch mehr Fahrt auf. Diese Brüche verdichten das tragische Element. Es kann kein lustiges, kein ruhiges Leben im Krieg geben, das ist die neue Botschaft an diesem Abend.

Der Spielplan
Das Stück in der Selbstdarstellung




Sonntag, 16. März 2014

Krieg der Worte als Selbstrechtfertiungsshow

TfN spielt Eine Stille für Frau Schirakesch


Es sei kein Stück über den Krieg,es gehe nur um Selbstrechtfertigung, benennt Autorin Theresia Walser den Kern ihres Werks "Ein Stille für Frau Schirakesch". Petra Wüllenweber hat am Theater für Niedersachsen daraus einen Krieg der Worte gemacht. Es wird messerscharf artikuliert und flächendeckend mit Formulierungen bombadiert, emotionale Kollateralschäden interessieren nicht, jeder gegen jeden heißt die Parolen. Am Ende gut dastehen, als Sieger aus der Schlacht hervorgehen, das ist das Ziel.
Petra Wüllenweber seziert die Einzelteile medialer Gegenwartsbewältigung im Jahre sieben nach "Sabine Christiansen". Damit legt sie Nerven blank und trifft den Kern des Stücks. Stellung zu beziehen, in diesem Krieg der Worte, der am Ende nur Verlierer kennt, bleibt dem Publikum vorbehalten. Petra Wüllenweber ergreift für keine der beteiligten Seiten Partei, das darf der Zuschauer machen und das ist gut so. Dahinter steckt für das Ensemble harte Arbeit am Text. Den jedes Wort wird auf die Goldwaage gelegt und dem anderen im Munde umgedreht. Das verlangt Konzentration und Sicherheit.
Die Bühne der Selbstdarstellung ist
 eine schiefe Ebene. Fotos: Hartmann/TfN
Das Schlachtfeld ist ein Fernsehstudio, Anlass ist die Steinigung von Frau Schirakesch in Tschundakar. Dort in ihrer Heimat hatte die Marktfrau einen Mullah falsch angeblickt. Dafür soll sie nun hingerichtet werden. Dies will Hilda Ludowsky zum Thema ihrer Talkshow machen, inklusive Live-Schaltung nach Tschundakar. Die Moderatorin hat sich fünf Gäste eingeladen.
Die beiden Models Heidrun und Ruth, waren Teilnehmerinnen  einer Schönheitskonkurrenz in Tschundakar. General Gert ist Oberbefehlshaber der deutschen Truppen. Soldatin Rose ist seit ihrem Einsatz in dem Bürgerkriegsland traumatisiert. Ihr Vater möchte Kapital schlagen aus dem Schicksal seiner Tochter. Wir haben es nicht mit Einzelpersonen zu tun, sondern mit den Stellvertretern des Mediensystem. Nur die Moderatorin hat Vor- und Familiennamen, alle anderen müssen auf einen Teil ihrer Identität verzichten.
Das Bühnenbild ist auf das Nötigste reduziert. Eine Weltkarte und ein paar Scheinwerfer symbolisieren das Fernsehstudio. Beherrscht wird die Szenerie von diesem riesigen Sofa, das Assoziationen an die besten Zeiten von "Wetten, daß..." weckt. Doch das Sitzmöbel ist auf einer schiefen Ebene und führt eher nach unten, als dass es festen Halt bietet. Mit diesen einfachen Mitteln ist Susanne Ellinghaus ein überzeugendes Zitat pop-kultureller Versatzstücke gelungen. Ein Stück, das beansprucht ungeschminkt die Wirklichkeit zu zeigen, muss auf raffinierte Licht-Akzente verzichten. Somit die Bühne, bis auf wenige Ausnahmen, in gleißendes, in schonungsloses, in gleichmachendes Scheinwerferlicht getaucht.
Schönheitskönigin Heidrun und Moderatorin Ludowski
bereiten den großen Auftritt vor. Foto: Hartmann
Das Stück beginnt als Countdown. Es sind nur noch 77 Minuten bis zur Steinigung, dann möchte die Moderatorin mit einem kollektiven Schweigen in die Sendung einsteigen. Einfach mal die Klappe halten zum Unsagbaren ist ein mutiger Einfall im Dauergeplapper der Talkshows. Doch je näher die Steinigung von Frau Schirakesch rückt, desto mehr entgleitet der Moderatorin die Kontrolle.
Dieses Werk über das Reden ist schwere Textarbeit mit dem wohlgesetzten Worten. Dies macht Simone Mende in der Rolle der Moderatorin Hilde Ludowski deutlich. Das Wortgefecht kann nur der bestehen, der die verbalen Waffen gut einzusetzen weiß und gut vorbereitet ist. Doch Simon Mende wirkt immer mehr, wie Goethes Zauberlehrling und die Geister, die sie rief. Ihre Hilflosigkeit gegen die Unmenschlichkeit der Hinrichtung drückt sie in einer versteinerten Gestik aus. Ihr einziger Haltepunkt sind Block und Stift. Als beide Requisiten über die Bühne fliegen, ist klar: Hier hat jemand aufgegeben.
General Gert ist der Kontrapunkt zum Gutmenschen Ludowski und Gotthard Hauschild spielt ihn, wie man sich einen Kommisskopp wünscht. Mit der Stimme immer am oberen Limit und im Befehlston. Selbst die Rechtfertigungsversuche seines Kreuzzuges gegen die Unmenschlichkeit bellt er in das Fernsehstudio. Damit verdeutlicht Hauschild, dass hier jemand verbale Rückzugsgefechts abliefert. Zum Schluss sind alle auf dem Rückzug und die Frage nach dem gerechtfertigten Krieg in Tschundakar bleibt unbeanwortet im Raum stehen.
Michaela Allendorf und Joëlle Rose Benhamou kosten ihren Zickenkrieg der Schönheitsköniginnen Heidrun und Ruth bis zur bitteren Neige aus. Beide schenken sich nichts und niemand steht der anderen in irgendetwas nach. Hier treffen zwei ebenbürtige Schauspielerinnen auf einander.
Sie alle vier sind Zeugen des Kriegs, aber keine Betroffenen. Helfen können sie der Totgeweihte nicht. Deswegen stehen sie unter permanenten Rechtfertigungszwang. In allen vier Figuren steck aber nur Verzweiflung, die sich ihre Bahnen bricht. Frau Schirakesch und ihr Schicksal sind für alle nur die Projektionsfläche der eigenen Hilflosigkeit.
Als Rose vom Sterben in Tschundakar erzählt,
ist die Talk-Runde überfordert.
  Foto: A. Hartmann
Rose hingegen ist ein Opfer. Die junge Frau kam traumatisiert vom Kriegseinsatz in Tschundakar zurück. Sie redet nicht viel, doch wenn sie spricht, hört ihr niemand zu. Hinter ihren verklausierten Bildern stecken schreckliche Erlebnisse, die keiner aus der Talk-Runde wirklich nachvollziehen kann. Als es kein Entrinnen mehr aus ihrer Hölle gibt und Rose alle mit ihren Erinnerungen schonungslos konfrontiert, da bleibt der Runde nur Ohnmacht und Übergeben. Ihr Vater gefällt sich in der Rolle des Dolmetscher, des Erklärers, doch im Grunde will sich mit dem Schicksal seiner Tochter profilieren. Dabei lässt er sich auf jedes Spiel ein und schlüpft sogar in eine Burka. Wenn es Charaktere gibt, die sich im Laufe der zwei Stunden entwickeln, dann eben Rose und ihr Vater. Alle anderen Figuren bleiben Gefangene ihrer selbst. Damit gehen die beiden komplettesten Rollen an Katharina Kwaschik und Dieter Wahlbuhl. Ihm bleiben die stillen Momente, die leise Ansprache in einer lärmenden Runde überlassen und das Übertölpelt werden im Dienste einer vermeintlich guten Sache. Dieter Wahlbuhl macht eben diesen Typus des nützlichen Idiotens greifbar.
Katharina Kwaschik hat das intensivste Spiel an diesem Abend zu bieten, durch alle Stadien der Erinnerung. Erst wortlost gefangen im Niemandsland zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen Krieg in Tschundakar und Talkshow in Deutschland, bleibt ihr nur die Hysterie als Fluchtfahrzeug, um dann monoton und abwesend von der Verarbeitung der Schrecken zu erzählen: nachvollziehbar und damit eindrucksvoll.

Das Stück
Der TfN-Spielplan

Montag, 10. März 2014

Ein Spiel herausragender Schauspieler

Der Faust der stille hunde ist gar nicht so einfach 

Also, eigentlich ist die Geschichte ja ganz einfach. Alternder Wissenschaftler bekommt Schaffens Lebenskrise, gerät in schlechte Gesellschaft, verführt ein Mädchen und stürzt alle ins Unglück. Nicht mehr und nicht weniger, das ist der Plot von "Faust. Der Tragödie erster Teil". Mit ihrer Inszenierung in der Klosterkirche Nikolausberg am 8. März haben die stillen hunde das deutsche Überstück neu strukturiert, auf das Wesentliche reduziert und die Sicht auf eine Figur gelenkt, die im Ich-erklär-die-ganze-Welt-Werk schnell mal zur Randfigur wird und die Gretchenfrage neu gestellt.
Im Vergleich zu den anderen Inszenierung in dieser Saison (siehe hier) ist diese Aufführung ist fast schon ein Anti-Typ. Die gewaltigen Aufbauten fehlen komplett. Das Seitenschiff der romanischen Kirche ist Bühne und Bühnenbild zugleich, einziges Gestaltungsmittel ist Licht. Das weiße Licht zeichnet harte Schatten, rotes Licht tauscht die Mauer des Seitenschiff in Blut. Den Raum zu nutzen, ihn als Teil der Aufführung geschickt einzusetzen, das wissen die stillen hunde zu nutzen, als "Christ ist auferstanden" als österlicher Choral durch die Kirche hallt. Das Publikum antwortet in Nikolausberg mit gespannten Lauschen

Von Zeit zu Zeit sehen sich diese Beiden
gern. Alle Fotos: stille hunde. 
Christoph Huber und Stefan Dehler haben die Requisiten auf ein Minimum geschrumpft, an Stelle des symbolischen Handelns tritt das Wort in den Vordergrund. Unterstützt wird diese Aussage von den sparsamen Gitarrenklängen von Leon Hast. Die  Konzentration auf die tragenden Teile bedeutet eine Befreiung des Textes. Es gilt vor allem das gesprochene Wort und dies führt zu einer Neuentdeckung. Unter all dem Beiwerk schaut nun hervor, was der Dichter uns wirklich sagen wollte. Dies ist eine Menge und es braucht schon Meister ihres Fachs, um diese Menge auch beim Publikum ankommen zu lassen. Aber keine Angst, es ist keine textlastiger Abend, keine Lesung mit bewegten Vortragenden. Wer sich solch eine Bürde aufbindet, der muss sich seiner Sache sehr sicher sein. An diesem Abend zeigen Christoph Huber als Mephisto und Stefan Dehler in der Titelrolle alles, was Schauspielern ausmacht. Sie variieren die Sprache, proklamieren, zweifeln, flüstern, brüllen, schmeicheln, drohen. Sie haben in jeder Situation die passende Geste, die dazugehörige Mimik. Weil die Rampe fehlt, weil das Publikum ganz nah dran ist am Geschehen, darf es dieses Schauspiel eben intensiv miterleben.
Darin ergänzen sich Christoph Huber und Stefan Dehler kongenial. Huber ist als Mephisto im Luden-Look der Mann für die großen Gesten und das teuflische Grinsen. Mit großen Schritten durch misst er den Kirchenraum und gibt der Inszenierung das nötige Tempo. Gäbe es einen Mephisto-Gedächtnispreis, wegen seines diabolischen Lachens wäre Christoph Huber allererster Anwärter für die kommenden drei Jahre.
Faust möchte wissen, was die Welt zusammenhält.
Stefan Dehlers Werkzeug ist das Wort. Mal laut, mal leise, alle bestimmt, mal zweifelnd, mal auf jubelnden  Höhen, mal im tiefen Keller der Selbstzerfleischung arbeitet er alle Feinheit der Textvorlage heraus und macht sie zu seiner eigen Sache. Die Pause, die Sekundenbruchteile zwischen den Worten, lassen das Gesagte wirken. Eben diese Kunstpausen setzen den Kontrast zum rasenden Mephisto, entschleunigen die Aufführung und schaffen den Zeitruam, um das Gesagte wirken zu lassen.
Während Huber knallendrot gekleidet ist, trägt Dehler die Uniform der alternden Oberstudienräte: mausgrau. Doch aus dieser Rolle befreit sich Dr. Faust, als er auf Gretchen, das junge Dinge, trifft. Hier gewinnt die Inszenierung an Geschwindigkeit. Der Selbstverzweifler wird zum Treibenden, zum Verführer, zum Fordernden. Fast kippt das Verhältnis Mephsito-Faust. Zwischen Protagonist und Antagonist entsteht eine neue Ko-Abhängigkeit.
Es ist eben die Gretchen-Tragödie, die diese Aufführung bestimmt und damit betrachten die stillen hunde und ihr Publikum Goethes Werk aus einem anderen Blickwinkel. War das Unglück der jungen Frau bisher ein Kolateralschaden auf Fausts Weg hin zu neuer Erkenntnis, wird die Verführung der Minderjährigen nun zum Hauptthema. In dieser Inszenierung setzt Faust die Abwärtsspirale ganz bewusst in Gang. Als ihm die Folgen seines Handelns klar werden, muss Mephisto als Sündenbock herhalten. Aufhalten können sie den Gang der Ding nicht mehr. Mephisto und Faust haben die Kontrolle verloren.
In der Rolle der verführten Minderjährigen wird Maja Müller-Bula fast zermahlen zwischen Huber und Dehler, den beiden Säulen dieser Aufführung.Es scheint, als dass sie sich aus deren langen Schatten heraus erst warm spielen muss. Doch die Schlussszene im Kerker macht sie ebenbürtig und der verzweifelte Schrei der Totegeweihten hallt noch lange nach in der dunklen Kirche.




Die stillen hunde über sich selbst
Der Spielplan

Zum Vergleich:

Faust am Deutschen Theater
Faust am Theater für Niedersachsen

Sonntag, 2. März 2014

Wie Vögel, die vom Himmel fallen

Theater Rudolstadt spielt Tennessee Williams in Nordhausen


Bumm-Bumm-Bumm-Bumm, mmmmhhhhh, how-how-how-how. Dieser Theaterabend beginnt wie ein Walking Blues von John Lee Hooker und endet wie eine griechische Tragödie. "Orpheus steigt herab" ist in der Inszenierung von Alejandro Quintana ein Werk, dass immer rasanter in den Abgrund führt, weil die Akteure in der Spur bleiben müssen. Die Premiere am Theater Nordhausen zeigt wie gnadenlos das Kollektiv mit Fremdkörpern umgeht und erntet verdient viel Beifall.
Die tragende Aussage kommt gleich zu Beginn. Die Bühne liegt noch im Halbdunkel, als eine Frauenstimme verkündet, wie wild und gleichzeitig freundlich und hilfsbereit die Menschen früher waren. Die Zivilisation hat ihnen diese Eigenschaften abgewöhnt. Das ist die Basis, war der sich dieses Spiel um Rollen, Normen, Fremde, Angst, Hass, Rache, Gewalt und Verderben entwickelt.
Der Neuankömmling wird bestaunt
wie ein Exot. Foto: P. Scholz 
Dann geht das Licht an und das Bühnenbild von Mathias Werner zeigt detailverliebt einen Laden irgendwo im Niemandsland der amerikanische Südstaaten irgendwann in der Niemalszeit Mitte des 20. Jahrhunderts. Orpheus steigt in einen Hades hinab, der keinen Zeitbegriff hat.
Beulah Binnings und Dolly Hamma bereiten die Rückkehr ihres Nachbarn Jabe Torrence vor. Der Ladeninhaber musste sich einer schweren Operation unterziehen und soll heute noch mit seiner Frau Lady zurückkehren. Wie der Chor der griechischen Tragödie übernehmen sie mit maskenhaften Mimik die Einführung in die Vorgeschichte. Klar wird, dass Vergangenheit und Gegenwart von offener und versteckter Gewalt durchdrungen sind. Das Macbeth'sche Hexentrio ist komplett als Vee Talbot, Frau des Sheriffs, die Bühne betritt. Sie gehören dazu zu dieser kleinstädtischen Gesellschaft voller Ressentiment und Bigotterien, einer Gesellschaft, die klar unterscheidet zwischen Schwarz und Weiß, Oben und Unten, Dazugehören und Außenseiter sein.
Im Schlepptau hat Vee Talbott den Musiker Valentine Xavier. Der Mann mit der Schlangenhaut-Jacke hatte ein Autopanne und sucht nun Arbeit. Weil er nicht dazugehört, entfacht er die Fantasien der Frauen. Wer so daherkommt, der ist auch eine erstklassige Projektionsfläche für all die unterdruckten Begierden.
Valentin Xavier ist seit seinem 15 Geburtstag als Gitarrenspieler durch die Welt gezogen. Das Instrument ist die einzige Konstante in seinem Leben. Nun am Vorabend seines dreißigsten Geburtstags möchte er irgendwo ankommen und dazu gehören. Tino Kühn entblättert alle Mosaiksteine dieser Rolle. Mal ist er der großen, unbedarfte Junge, mal der rastlose Tramp, der Poet und mal der überforderte Helfer. Die Möglichkeiten zum Absprung aus dieser Achterbahn Richtung Abgrund kann er nicht nutzen, weil es ein Zurück in das alte Leben wäre. Erst als Sheriff Talbott ihn offen droht, begreift er den Ernst der Situation.
Carol Cutrere hängt zwischen den Stühlen. Als reiche Erbin gehört sie eigentlich zur Oberschicht, doch ihr Protest gegen den Rassismus ihrer Gesellschaft hat sie zur Außenseitern gemacht. Doch der Idealismus ist verflogen. Dennoch schafft auch sie den Absprung nicht und bleibt ihrem Heimatort in Hass-Liebe verbunden. Anne Kies offenbart die ganze Vielschichtigkeit dieser Figur. Mal ist sie die gezielte Provokation, mal die Hilflosigkeit. Ob sie nun redet oder schweigt, Anne Kies zeigt Bühnenpräsenz und wirkt doch bereits zerbrochen.
Carola Sigg zeigt Trotz, Resignation und Rache
in einer Person. Foto: Peter Scholz
Stark dagegen wirkt Carola Sigg als Lady Torrence. Sie ist verzweifelt, aber sie hat noch nicht aufgegeben. Als Tochter eines italienischen Einwanderers ist sie immer eine Randfigur der weißen Gesellschaft geblieben. In ihr glimmt ein Feuer.  Will sie ein Weinlaube ihres Vaters aufleben lassen, um ein verlorenes Paradies zurückzuholen? Erst als ihr bewusst wird, dass ihr Mann Jabe für den Mord an ihrem Vater verantwortlich ist, bricht sich der Wunsch nach Rache seine Bahn. Deswegen kann sie nicht loslassen, deswegen kann sie nicht einfach gehen und deswegen wird sie zum Schluss auch tot liegen auf den Brettern, die ihre Welt bedeuten. Der kurze Augenblick des Glücks scheint nicht in ihre Biografie zu passen. All diese Deutungsmöglichkeiten liefert Carola Sigg mit ihrer Interpretation der Lady Torrence und deswegen ist sie eindeutig das Zentrum in der Aufführung des Theater Rudolstadt.
"Orpheus steigt herab" in der Inszenierung von Alejandro Quintana ist ein Werk, dass von den rasanten Wechseln lebt. Da sind die Szenen, in denen Laura Göttner und Verena Blankenburg als  die Furien Hamma und Binnings über das Parkett fegen,Tür auf, schepper, Tür zu, Treppe rauf. Und da sind die bewegungslosen Szenen, in denen die an den Rand gedrängten mit dem Publikum in den Dialog über ihre Verzweiflung treten.  Quintana präsentiert vor der Pause alle Facetten des alltäglichen Rassismus und der Gewalt. Alle Hoffnungen auf ein gutes Ende entzieht damit den Boden. Die Sturzfahrt Richtung Abgrund beistzt ihre eigene Logik und die Inszenierung nimmt deutlich an Fahrt zu.
Nach der Endabrechnung  bleibt nur Carol Cutrere
am Leben. Foto: Peter Scholz
Die Bühne wird von den Opfern bevölkert, die Strippenzieher bleiben meist als Schatten im Hintergrund. Dennoch sind sie omnipräsent und werden sie sichtbar, dann beherrschen sie allein mit der Gestik die Bühne. Leider wirkt Sheriff Talbott in der Interpretation von Matthias Winde ein wenig überzeichnet. Er gerät fast zur Karikatur des Hüters einer weißen Ordnung, die sich nicht um Recht und Gesetz kümmert.
Die Ausstattung und die Kostüme von Mathias Werner sind fast schon zu Originalgetreu. So läuft "Orpheus steigt herab" Gefahr, einzig Aussagen zu einer historischen Situation an einem singulären Ort zu liefern. Dabei macht diese Inszenierung doch deutlich, dass Unterdrückung und der Kampf um Freiheit immer auch eine Auseinandersetzung zwischen dem Individuum und einem amorphen, manchmal unsichtbaren Kollektiv ist. Wer die Ordnung stört, das wird beseitigt. Solche Methoden sind nicht an einen Raum und eine Zeit gebunden. Diese Aussage weist über die Premiere hinaus. Nun fehlt noch die Umdichtung auf das Medienzeitalter.

Das Theater Rudolstadt
Das Stück in der Selbstbeschreibung
Der Spielplan in Nordhausen