Sonntag, 23. Februar 2014

Es ist nicht einfach, radikal zu sein

Theaterjugendclub spielt Stück über blinden Aktionismus

Marie, Rosa und Ana sitzen fest. Eigentlich wollte sie den Schalter umlegen, die Scheinwerfer erlöschen lassen und die Europa-Premiere von "Lovely Juliet" platzen lassen. Schließlich ging es um nichts Geringeres, als die Welt wach zurütteln und die Welt zu verbessern. Doch bevor sie ihre spektakuläre Tat durchführen konnten, haben die Sicherheitskräfte die Drei erwischt. Nun sitzen sie fest, aber es besteht noch Hoffnung. Denn Viktorie, die vierte Verschwörerin, ist noch auf freiem Fuß und kann die Aktion zum Erfolg führen. Marie, Rosa und Ana sitzen fest und in Rückblenden erzählen sie ihre eigene Chronologien des Scheiterns
Mit den vier Themen Weltverbesserung, Sinnfrage, Suche nach dem Platz im Leben und pubertierende Liebe ist das Jugenddrama "Heute ist ein guter Tag"  ein ambitioniertes Projekt. Dennoch ist Autorin Ann-Christin Focke ein authentisches Werk gelungen. Der Theaterjugendclub Nordhausen zeigt bei der Premiere im Theater unterm Dach, dass er dem gewachsen ist. In seiner Inszenierung gelingt es Ronald Winter, das Riff der Überfrachtung zu umschiffen, und es gelingt den jugendlichen Darstellern die unterschiedlichen Charaktere überzeugend herauszuarbeiten.
Es ist ein Stück, das von jedem eine Stellungnahme verlangt. Der Anfang liegt vor dem  sorgt der Einstieg noch an der Eingangstür. Benedikt Böck kontrolliert als Kartenabreißer Jan die Eintrittskarten. Verena Brink, Marlen Krieger und Alina Ruß machen Promo für "Lovely Juliet", den neuen Film von Keira Knigthley, dem Alter Ego von Angelina Jolie. Das  Publikum wird ins Geschehen hineingezogen. Der Einstieg münzt die räumliche Begrenzung des Studiotheaters zum emotionalen Vorteil um.
Schon bei der Planung werden die Risse
im Team deutlich. Fotos: A.D. Wagner
Schnitt. Die drei verhinderten Heldinnen sitzen hinter Gittern und spekulieren über die Gründe ihres Scheiterns. Natürlich kann nur Verrat im Spiel sein. Es wird klar, dass das vermeintliche Team gar nicht so harmonisch ist. Die Rollenverteilung und die Risse im Kollektiv sind nicht zu übersehen. Da ist Rosa, die kühle Planerin, die sich als Reinkarnation von Rosa Luxemburg sieht und alles dem Erfolg der Aktion unterordnet, resolut von Marlen Krieger verkörpert, leise Töne sind nicht ihre Sache. Sie pocht auf das Teamarbeit und ist doch eindeutig die Platzhirschkuh. Zweifel an der Tat lässt Krieger nicht zu und begibt sich schon von Anfang in ein eigenes Gefängnis der Paranoia. "Heute ist ein guter Tag, das spüre ich", ist die Mantra, um die Selbstzweifel wegzubügeln. Die Stimme befindet sich immer an Anschlag, doch noch ist es Zeit, um zu lernen, dass sich Bühnenpräsenz nicht in Brüllen ausdrücken muss. Leider bleibt ihr ein Solo, indem sie, wie die anderen auch , im Dialog mit dem Publikum, ihre Motive erklären kann verwehrt. Aber vielleicht gibt es auch keine Motive, die erklärt werden könnten.
Verena Brink spielt Ana, die radikale Bürgertochter, gekleidet wie die Internationale der Autonomen. Warum sie mitmacht? Dass weiß sie nicht. Verena Brink macht aber ihre Ziellosigkeit deutlich. Sie ist mehr Getriebene als Treibende, sie ist die Radikale, weil es die anderen erwarten und sie ist Adlatus und Werkzeug für Rosa. Aber die stillen Partien bleiben ihr verwehrt.
Tine und Marie versuchen, einander näher
zu kommen. Foto: A.D. Wagner
Differenzierter agiert da Alina Ruß als Marie, die schwankende. Mal ist sie überzeugt dabei, mal weiß ise nicht so recht. Dabei ist doch nur auf der Suche nach Anerkennung. Doch bei den Überzeugungstäterinnen Ana und Rosa stößt sie nur auf Unverständnis. Es ist schon erstaunlich, wie glaubwürdig Alina Ruß diese lebensnahe Darstellung umsetzten kann. An diesem Abend hinterläßt sie den stärksten Eindruck.
Benedikt Böck bleibt als Kartenabreißer Jan nur eine Randfigur. Die jugendliche Unsicherheit auf der Suche nach dem Platz ins Leben steht ihm ins Gesicht und in die Gestik geschrieben und damit ist er der Gegenpol zu Ana und Rosa. Ambitionen hat er keine, er nimmt es so wie es kommen wird.
Die große Unbekannte ist Tine. Die Figur passt nicht in das Schwarz-Weiß-Gut-Böse-Schema von Rosa und Ana. Die anderen Akteure noch suchen, hat Tine die großen Enttäuschungen schon hinter sich und nun wird sie von Dreigestirn, das den Kontakt verweigert, wieder enttäuscht. Tine ist schon einen oder zwei Schritte weiter als die Heldinnen ohne Ziele. In diese Rolle hat sich Constanze Winter akribisch eingearbeitet, die gelungene Darstellung ist konsequent, die kühle Berechnung ist Folge der Frustration und somit wird Tine zu der Rolle mit der größten Tiefe. Somit ist ihr Bombenattentat auch nur eine erschreckende Konsequenz und logischerweise erfolgreich.
Während Rosa noch redet, bereitet
Tine ihre Tat vor. Foto: Wagner
Im Zentrum der stärksten Szene stehen dann eben diese beiden Figuren Tine und Maire. Links sitzen Rosa und Ana und planen das Schalterumlegen, rechts sitzt Jan in seinen pubertierenden Nöten und in der Mitte Tine und Marie im Dialog über die Dinge des Lebens, der nicht so recht gelingen will, weil sie die Distanz zwischen ihnen nicht überbrücken können. Es sind  eben diese drei Dinge, dieses dreifachen symbolische Handeln, dass für die Probleme der Jugend stehen und deswegen ist "Heute ist ein guter Tag" eben ein Jugenddrama ohne erhobenen Zeigefinger und ohne moralische Keule und Tugendhammer. Es gibt eben kein Schwarz-Weiß, Gut-Böse. Autorin Ann-Christin Focke hat auf die Zeichnungen mit dem groben Pinsel verzichtet und Roland Winter tut es in seiner Inszenierung auch. Selbst die Frage, ob und wo die Welt verbessert werden muss, bleibt dem Publikum überlassen.
Auch mit dem Bühnenbild ist Roland Winter ein großer Wurf gelungen. Da sind immer wieder diese Gitter, die an die Baustellen des Lebens erinnern, Gitter, die einsperren und die andere aussperren, Gitter, mit dem die Figuren sich aber auch abriegeln, Gitterwände, die die Richtung vorgeben, Gitter, die je nach Bedarf eingesetzt werden können.
Ergänzt wird dieses Symbolik durch das ausgefeilte Lichtspiel von Mario Kofend. Es setzt die richtigen Punkte, schafft mal eine schonungslose Neonlicht-Atmosphäre, mal ein diabolische Halbdunkel und rückt die Akteure bei ihren Soli und ihrem Dialog mit dem Publikum in das richtige Licht. So ist "Heute ist ein guter Tag" schlicht und einfach eine reife Leistung des Theaterjugendclubs.


Das Stück in der Selbstdarstellung

Der Spielplan in Nordhausen

"Die Welt muss nicht gerettet werden" - Interview mit Wischmeyer

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