Montag, 30. Dezember 2013

Radetzky an der schönen blauen Donau

Das Bremer Kaffeehaus-Orchester beim Konzert zwischen den Jahren

Ist es Pop mit Klassik-Appeal oder ist es Klassik mit Pop-Appeal? Auf alle Fälle bot das Bremer Kaffeehausorchester bei seinem Gastspiel im Kloster Walkenried ein umfangreiches Programm mit vielen Schmunzlern. Ein zufriedenes Publikum dankte mit viel Applaus für den Abend mit hohen Unterhaltungswert.
Dabei war der Start durchaus holprig, denn beim Adeste fideles stimmen die Machtverhältnisse im Quintett noch nicht. Johannes Grundhoff galoppiert kraftvoll am Klavier davon, so dass die anderen Mühe haben, ihm zu folgen. Doch schon beim Sleigh Ride von Leroy Anderson fügt sich das Ensemble in Harmonie. Die Querflöte von Klaus Fischer hüpft und tiriliert, dass die kleinen Ponys vor dem Schlitten vor dem geistigen Auge Wirklichkeit werden. Constantin Dorsch bildet dazu mit der Violine die klangliche Ergänzung, die diesem Abend bestimmen wird. Zwei so unterschiedliche Instrumente verschmelzen hier zu einer Einheit, die nicht mehr aufgelöst werden sollte.
Doch derRückschritt kommt schon im dritten Stück. Die Sinfonia aus dem Weihnachtsoratorium klingt flach und lässt jeglichen Höhepunkt vermissen. Gleiches gilt später für das Largo aus Vivaldis Winterepos.
Nur wenige Mitteleuropäer ahnen, wie viel Spaß
eine Vuvuzela bringen kann. Fotos: tok 
Die Stärken des Kaffeehausorchester liegen nicht im Barock, sondern im 19. Jahrhundert aufwärts, in der Verbindung von dem, was sich Hochkultur nennt und Humor und Schmunzeln, Kaffeehaus-Gefühl und leichte Muse halt. Mit dem weltberühmten Tango La Cumparsita ist alles wieder gut, dieHarmonie zwischen Künstler und Publikum wiederhergestellt. Und beim "Honey Pie" der Beatles können die Bremer groß auftrumpfen. Von McCartney und Lennon im Original schon mit jeder Menge Retro-Gefühl ausgestattet, gibt das Kaffeehausorchester noch einmal einen ordentlichen Schuss Ballroom-Feeling dazu und mit wenigen Takten findet sich das Publikum in einem Tanzpalast der 30er Jahre wieder. Es fehlt nur noch die Glitzerkugel unter der altehrwürdigen Decke. Diesen Kunstgriff behrrscht das Ensemble an diesem Abend gleich mehrfach.
Überhaupt scheinen die vier Jungs vom Ufer des Mersey dem Quintett vom Weserstrand sehr zu liegen. Das Kaffeehausorchester legt Seiten der Beatles frei, die man so noch nicht gehört hat. Violine und Querflöte ersetzen den Gesang gleichwertig und es wird deutlich, dass die Werke von Lennon und McCartney der E-Musik in Sachen Komplexität und Anforderung in nichts nachstehen. Damit liegt viel Klassik-Appeal in den Rockklassikern
Eine andere Stärke des Bremer Ensembles ist Wiens Musikwelt des 19. Jahrhunderts, die Walzer und die Polkas. An der schönen blauen Donau gerät zu einer musikalischen Hommage an die Seligkeit und den vergangenen Zauber der K.u.K-Metropole, bei der das gesamte Auditorium im sanften Wogen der Wellen dahinschwelgt. Butterweich und mit Schmäh strömen die Violinentöne von der Bühne und spülen Walkenried für 5 Minuten 30 an die Ufer der Donau.
Zum Schluss gibt es zufriedene Gesichter
 oben und unten, Applaus und Blumen.
Der Polka-Leidenschaft wird an diesem Abend gleich dreimal gehuldigt. Einmal mit Johann Strauss und zweimal mit Gustav Maria Bachpelz. Nie gehört? Es ist ein Pseudonym und dahinter verbirgt sich eben Constantin Dorsch. Seine Vuvuzela-Polka ist sicherlich eines der frechsten Stücke, das Männer im Frack spielen. Mitteleuropäer könnten sich bisher gar nicht vorstellen, welche Virtuosität mit diesem Instrument möglich ist und wie viel Spaß damit verbunden sein kann.
Die Zugabe bringt noch einmal die Beatles und den Beweis, dass das Kaffehaus-Orchester vielleicht die beste Cover-Band der Welt. Es hat ihnen aber wohl niemand gesagt. Bei "Hey Jude"wird dann richtig abgerockt. Johannes Grundhoff darf  seinen präzisen Anschlag und seine Dynamik zu Geltung kommen lassen und Gero John beweist endlich, dass an diesen Abend auch ein Cello mit dabei war.
Im Wiener Kaffeehaus-Jargon bezeichnet man die Mischung aus Heißgetränk, Milch und Zucker als Melange. Diese musikalische Melange war sicherlich nicht reizarm, mundete aber trotzdem.



Mehr Informationen zum Kaffeehausorchester hier.

Die Kreuzgangkonzerte in Walkenried

Sonntag, 22. Dezember 2013

Planeten ohne Zentralgestirn

Eine zeitlose Möwe im Deutschen Theater Göttingen

Fast 120 Jahre liegt die Uraufführung von Tschechow Stück zurück. Als Situationsbeschreibung des  spätzaristischen Russland konzipiert entlockt Mark Zurmühle bei seiner Neuinszenierung von "Die Möwe" dem Werk auch Aussagen zur Zeit. Desorientierung tötet. Sie frisst Seelen auf und sie tötet auf allen Ebenen.
Na, da hat sich ja eine feine Gesellschaft zusammengefunden. Wie in all den Jahren zuvor treffen sich auch in diesem Sommer Freunde und Verwandte auf dem  Landgut von Pjotr Nikolajewitsch Sorin. Zu der illustren Gesellschaft gehören neben dem ehemaligen Gerichtspräsidenten auch seine Schwester Irina Nikolajewna Arkadina und dessen Sohn Konstantin "Kostja" Treplew. Im Schlepptau hat die verwitwete Schauspielerin ihr jüngeren Geliebten, den Schriftsteller Boris Trigorin. Zu den Satelliten dieser Sommergesellschaft gehören noch Mascha Iljewna, Tochter des Gutsverwalter Ilja Schamrajew, Semjon Medwedenko, Lehrer, und Nina Saretschnaja, Tochter eines benachbarten Gutsbesitzers. Landarzt Jewgenij Dorn und Polina Schamrejewa, Frau des Verwalters, vervolllständigen das Teilnehmerfeld. Der Mikrokosmos ist komplett
Kostjas Theaterstück stößt auf Unverständnis
und wird damit zum Auslöser. Fotos: DT/Winarsch
Das Spiel des DT-Ensembles macht deutlich, dass dieses  Team an einem Widerspruch leidet. Jeder ist zur Stelle, aber keiner ist an seinem Platz. Keiner lebt das Leben, das er leben möchte. Sorin muss aus Geldnot auf dem Lande leben, die Stadt bleibt ihm verwehrt. Mit 60 Jahren muss er bekennen, dass er nie Jurist werden wollte, sondern Schriftsteller.  Lutz Gebhardt gibt dieser Melange aus Alterswut, Verzweiflung und Larmoyanz eine glaubwürdige Gestalt. Die multikausale Verhärmung ist ihm ins Gesicht und die Gestik geschrieben. Also projiziert Sorin seine Hoffnungen auf den Neffen Kostja. Immerhin schon 25 Jahre alt, weiß nun gar nicht, wohin es gehen soll, geschweige denn, wo sein Platz ist. Er weiß nur, dass es so und auf diese Art und Weise nicht weitergehen kann. Er möchte Dramatiker werden oder Schriftsteller, auf jeden Fall aber nicht in den alten Bahnen. Doch sein Theaterstück der neuen Form bleibt fleischlos weil es keine wirklichen Personen zeigt, weil das Neue einem hohlen Formalismus verhaftet bleib. Moritz Pliquet verdeutlicht dieses Nicht-Loskommen, dieses Steckenbleiben und er kann glaubhaft vermitteln, dass Kostja  der Zugang zur Realität, zur Welt da draußen verwehrt. Er leidet an seinem Umfeld, dass ihn als eigenständige Person nicht ernst nimmt. Aber er kann außerhalb des Mikrokosmos nicht existieren. Der einzige Entschluss, denn er in Gelassenheit vollziehen kann, ist die Beendigung seiner eigenen irdischen Existenz.
Damit ist Kostja ein Kind seiner Zeit. Die 1890er Jahre im Zarenreich waren eine bleierne Zeit, Jahres des Übergangs. Der revolutionäre Schwung der 1870er Jahre war verschwunden, der Terror der 80er Jahre vorbei, die Narodniki im Exil, im Gulag oder hingerichtet. Die Unruhen der 1900er Jahre, die Revolution von 1905 sind Äonen entfernt. Noch ahnt niemand, dass bald Sturm der Avantgarde durch die russischen Salons gehen wird, dass die russische Kunst einen Innovationsschub erfahren wird, wie es wohl keinen zweiten in der europäischen Kulturgeschichte gegeben hat und innerhalb weniger Jahre vom Mittelalter in die Moderne springen wird.
Auf dem Gut von Sorin (l.) hat sich eine illustre
Gesellschaft zusammengefunden. Foto: DT/Winarsch 
Solche bleiern Zeiten kehren immer wieder, dies ist die zentrale Aussage der Göttinger Inszenierung, das ist die Transferleistung in die Jetztzeit. Zurmühle verzichtet wohlweislich auf eine Zeitbindung, Der leichte Sommerdress ist nicht an Ort und Zeit gebunden, das trug auch die Boheme der 20er und der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts, in diesem cremefarbenen Leinen spielte Adenauer Boccia in Cadenabbia. Vielleicht sind wir wieder in solch einer bleiernen Zeit?
Diese Sommergesellschaft adeligen Ursprung steht außerhalb der Regel der Bürgerlichkeit, das ist Boheme. Aber sie hat ihre eigenen Regeln und sie unterliegt ihren eigenen Zwängen und Konventionen. Verletzung auf Gegenseitigkeit gehört dazu. Ich tue dir weh, damit ich mich spüre, bei all dieser Lähmung. Andere Verhaltensmuster lässt die Langeweile und der Grusel vor der eigenen Nichtigkeit nicht zu, ist eine der Kernaussage dieser Inszenierung. Die Regeln bestimmt Irina Arkadina. Ihre Waffe ist die Drohung mit Liebesentzug und mit Eklat, symbolisiert in der vorzeitigen Abreise, genau kalkulierend, dass dies die Sommergesellschaft sprengen, atomisieren würde. Damit ist Angelika Fornell die starke Person in dieser Inszenierung. Sie gibt den Rhythmus vor und sie setzt die ganze Palette von gespielter Ahnungslosigkeit bis hin zu dosierter Bösartigkeit ein. Doch welche Kettenreaktion sie mit dem Eklat zur Premiere von Kostjas Stück in Gang setzt, das übersteigt auch ihr Fassungsvermögen. Selbst diese Ahnungslosigkeit nimmt Angelika Fornell ab.
Die einzige Figur, die als Gegenpol wirkte könnte, ist der Landarzt Jewgenij Dorn. Alle würde ihm gern die Rolle des Übervaters zuschreiben,doch er lehnt dankend. Einst Regelbrecher hat er sich gut eingerichtet in seiner Rolle des anerkannten Freigeistes. Als einziger erkennt er Kostja Talent und er anerkennt es auch als eigenständige Leistung. Aber Orientierung kann er ihm auch nicht bieten oder will er nicht geben. Das würde die eigene Bequemlichkeit beenden. Florian Eppinger lässt diese Figur so lebendig werden, dass man denken mag "Halt, das ist doch mein Nachbar zwei Häuser weiter". Auch das ist der Transfer in die Jetztzeit und dann bewältigt man, wenn man seine umfangreichen Mittel eben auch passend einsetzten kann.
Es scheint, als schlage Sorins
letzte Stunde. Foto: DT/Winarsch
Der stille Star an diesem Abend ist das Bühnenbild von Eleonore Bircher. Sie greift ein Thema weiter, das sie bereits be iShakespeares "Was ihr wollt" angewendet hat: Inseln in einem bühnenweiten See. Standen diese Inseln damals für die Vereinzelung der Akteure, sind sie hier eher die Fluchtburgen der Getriebenen, die sicheren Inseln in einem feindlichen Element. Sie drängen die Akteure zusammen, verstärken im positiven wie im negativen Sinne die Beziehungen zueinander, das direkte Mit-und Gegeneinander, das dem Anderen ausgeliefert sein, das dem Ganzen nicht entrinnen können und wollen. In der Möwe ist der See optisch noch weit bis hinter das Bühnenhaus verlängert. So überwindet die Gestaltung einen scheinbaren Widerspruch: Weite, Leere und Klaustrophobie. Dazwischen steht ein Birkenwald. Ist er Grenze? Ist er Versteck? Er ist vor allem der Ort, in dem die Bedrohung lauert, die Bedrohung in Form von Menschen, die heraufziehen, dich zu umringen.
Fast 120 Jahre liegt die Uraufführung von Tschechow "Die Möwe" zurück. Mit dieser Inszenierung hat Mark Zurmühle die Triebfedern in diesem Stück verdeutlicht. Weil es ihm gelingt, die Situation in das Jetzt-Dur zu transponieren, zeigt er auch, dass eben jene Triebfedern immer und vielleicht mehr denn je wirken. Langeweile und Selbstzweifeln führen zu Mobbing und fressen Seelen auf. Wer nicht weiß, wo er hinwill, wird unweigerlich in die Katastrophe getrieben. Damit betreibt Zurmühle mehr Gegenwartsanalyse als Historientheater, Gott sei dank.

Das Stück in Selbstbeschreibung
Der Spielplan

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Am Ende des Lebens ziehen Teppichfransen vorbei

Das TfN spielt schlechten Grusel auf hohem Niveau


Warum immer so hochgeistig? Trash kann doch so schön sein. "Das Geheimnis der Irma Vep" ist mit Absicht ein Stück zum Gruseln. Es hat alles, was Boulevardtheater aus macht: Geheimnisse, rasante Wendung, Verzweiflung, Happy End und jede Menge Türen, die auffliegen und zuknallen. Nicht umsonst war das Werk von Charles Ludlum die Nummereins auf dem Off-Broadway.  Das Theater für Niedersachsen (TfN) spielt die Horrorkomödie auf sehr hohem Niveau, aber ohne Schenkelklopfer.
Die Inszenierung von Tilo Esche lässt kein Klischee aus und spielt gekonnt mir unseren Erwartungen. Der Landsitz eines englischen Lords muss so aussehen wie er im Bühnenbild von Hannes Neumaier aussieht. Es ist alles da, was das kollektive Gedächtnis an Versatzstücken verlangt, eine Glastür in die weite Landschaft, ein Kamin und natürlich ein Portrait der verstorbenen Gattin. Ohne Frage trägt die Haushälterin Jane die weiße Haube zum schwarzen Kleid und Lord Edgar Tweed und Knickerbocker. Das Faktotum Nicodemus hat eine Vergangenheit, die im Dunkel verborgen bleibt, und Lady Enid war Schauspielerin, bevor Lord Edgar sie zur zweiten Frau nahm. Der Spaß kann losgehen.
Jane und Nicodemus ahnen, dass Lord Edgar den
den falschen Wolf erlegt hat. Foto: TfN/Hartmann
Für die Schauspieler ist "Das Geheimnis der IrmaVep" eine Herausforderung. Gotthard Hauschild und Martin Molitor müssen nicht nur acht Rollen bewältigen. Sie müssen auch absichtlich schlecht spielen und das machen sie gut, ohne Ausnahme. Das beginnt bei der überzogenen Art, die Worte zu artikulieren, und mit Sätzen voller Andeutungen, mit denen Jane und Nicodemus die Zuschauer in die Situation einführen. Molitor und Hauschild entpuppen sich als Meister des plastischen Rezitativs. Theaterdonner und Schüsse im Dunkel dürfen da nicht fehlen. Das weckt Erinnerungen an die Samstagabende mit dem Ohnsorg-Theater im Ersten und steigert den Spaß noch. Da ist das dunkle Geheimnis der ersten Lady, das Rätsel um einen zahmen Wolf und die Tragödie des toten Sohns und die Legende vom Werwolf. Das ist authentisch, denn vollgepackt bis oben hin und überladen gehört eben auch zum Boulevardtheater.
Was nach den Andeutungen kommt, das weiß der erfahrene Zuschauer. Der härteste aller Kritiker (siehe hier und siehe auch hier) weiß es nicht, hat aber trotzdem seinen Spaß. Wenn sie Abend noch etwas lehrt, dann die Geschwindigkeit mit der Schauspieler in eine andere Rolle schlüpfen können. Aus Nicodemus wird Lady Enid. Doch im Aufeinandertreffen mit Haushälterin Jane wird gleich deutlich: die beiden werden bestimmt keine beste Freundinnen. Die Gräben zwischen der Land und Stadt sind zu groß. Charles Ludlum hat hier einen Clash of Cultures geschaffen, lange bevor es den Begriff gab, aber eben auf unterhaltsame Art. Man ahnt sofort: Aus dieser Spannung wird noch Unheil erwachsen, man kann es gar nicht erwarten.
Klamauk auf Weltiveau : Walk-like-an-Epytian
vor dem roten Samtsteinvorhang. Foto: TfN
Das Warten ist das Problem. Nachdem alle Positionen schnell bestimmt sind, zieht sich der erste Akt doch hin. Hier gibt es noch Längen und Optimierungspotential. Außer Atem präsentiert sich hingegen der zweite Akt. Lord Edgar in Ägypten, auf der Suche nach Pev Amri, der Mumie, die seit 3.500 Jahren schlummert und auf die Wiedererweckung wartet. Gotthard Hauschild als Fremdenführer und Martin Molitor als erschöpfter Lord im Walk-like-an-Epyptian-Modus vor dem roten Samtsteinvorhang, eine köstliche Wortschöpfung und genialer Klamauk. Das muss mal sein, Trash kann ja so schön sein. Aber die schrille Komik einer Olivia Jones ersparen uns Esche und das TfN doch Regisseur sei Dank. Die Phantasien des Lords werden wahr und der Sarkophag muss natürlich nach England. Dort bringt er den Stein ins Rollen.
Nun überschlagen sich die Ereignisse fast und entwickeln sich doch logisch aus der schrägen Logik des Grusel-Genre. Die Gattin kehrt aus der Nervenheilanstalt zurück, der Werwolf treibt sein Unwesen, Jungfrauen müssen sterben und der  Hausherr erleidet Panikattacken. Der Schmerz wird körperlich und gewinnt Gestalt, wenn Martin Molitor als Lord Edgar auf dem Boden liegend nach Luft schnappt. Doch dann sagte er diesen herrlichen Satz ".. und am Ende des Lebens sieht man Teppichfransen vorüberziehen .." und alle Spannung löst sich in Lachen auf. Selbst der härteste aller Kritiker lacht mit.
So werdennach dem Spiel mit den Klischees diese popkulturellen Versatzstücke gleich wieder dekonstruiert. Nächstes Beispiel: Von einer Silberkugel getroffen setzt der Werwolf zu einem Lamento, zu einer schwülstigen und langatmigen Abschiedsrede an, bis er vom Mitspieler mit den Worten "Gotthard, du bist tot" unterbrochen wird. Dieser Wechsel von Spiel und Dekonstruktion ohne ins Schrille zu drehen, das ist vielleicht das wahre Geheimnis der Irma Vep. Deswegen gibt es am Schluss viel Applaus von allen Zuschauern.
Ach so, natürlich gibt es ein Happy End, aber mehr wird nicht verraten. Hingehen und selber lachen.


Irma Vep in der Selbstdarstellung

Noch mehr Bilder

Der Spielplan am TfN

TfN-Intendant Gade im Interview: Schlechtes Theater auf hohem Niveau

Sonntag, 8. Dezember 2013

Begeisterung vom ersten Akkord an

Viva Voce macht in Walkenried Lust auf das Fest


Am 7. Dezember gastierte die A-Cappella-Formation Viva Voce mit ihrem Programm "Wir schenken uns nix" im Kloster Walkenried. Zum Schluss ergeben sich zwei Möglichkeiten, darüber zu urteilen: eine kurze und knappe Version und eine ausführliche Besprechung.

Die kurze und knappe Version

Geil,so macht Weihnachten wieder Spaß. Viva Voce hauchen dem Fest wieder Leben ein, frei nach dem Motto, dass Tradition nicht das Hüten der Asche sondern das Bewahren der Flamme ist. Die fnf Franken schauen musikalisch mit einem deutlichen Augenzwinkern auf unser aller Erwartungen und Erinnerungen an das größte Fest des Jahres. Sie amüsieren sich nicht darüber, sie machen es nicht lächerlich, sie schmunzeln und wir mit ihnen. Und dann lachen wir manchmal doch über uns selbst, wenn Basti davon singt, wie schwer es ist, sich an das Versprechen "Wir schenken uns nix" zu halten.
Nix ist sicher vor den fünf
Franken. Foto: Band
Kein Stil ist vor den fünf ehemaligen Mitgliedern des Windsbacher Knabenchor sicher. Da gibt es Anklänge an Gregorianik und Madrigalgesänge, es gibt Choräle und jede Menge Barber-Shop und Pop, es wird gefunkt und zum Schluss gibt es "Ich steh an deiner Krippe" als Bossa Nova. Genial.
Die Weihnachtsbotschaft von Viva Voce ist ganz einfach: Freue dich, oh Christenheit.
Am 22. Februar 2014 und am 23. Februar sind VivaVoce in Wolfenbüttel und in Wolfsburg zu hören. Hingehen.

Mehr Informationen zur Band hier.

Die Kreuzgangkonzerte in Walkenried

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Die ausführliche Besprechung

Das erlebte man auch selten.Vom ersten Akkord an herrschte im Kreuzgang in Walkenried Freude und Begeisterung. Das fränkische A-Cappella-Kommando Viva Voce war gekommen und brachte die Freude am Weihnachtsfest zurück. Das Programm "Wir schenken uns nix" lässt nichts aus und zeigt einen offen und humorvollen Blick auf unser aller Festgewohnheiten.
Mein Vorbehalt gegen A Cappella war immer der Verdacht der musikalischen Limitierung. Fünf Jungs und ohne Instrumente, das riecht verdammt nach Barber-Shop. Weit gefehlt. Viva Voce haben an diesem Abend fast keinen Stil ausgelassen. Da wird gejammt und gejazzt und gefunkt, was die Stimmenbänder hergeben. Weihnachtslieder können auch in R'n'B-Manier gesungen werden. Als die fünf Franken in der zweiten Zugabe dann "Ich stehe an deiner Krippe" als Bossa Nova singen, das ist dann die Krönung. Wer hat sich das zuvor getraut?
Freue Dich, oh Christenheit, lautet
die Botschaft. Foto: Band
Doch Weihnachten ist nicht nur Spaß. Das Fest ist auch Besinnung und die beherrschen Viva Voce gleich mehrfach. Zu Weihnachten darf man auch Plattitüden bemühen: In solchen Momenten trägt die glockenreine Stimmen von David und Mate in jede Ecke, der Chor sorgt für die Basis und das Publikum versinkt in Andacht und Stille. Das sind die Momente, in denen die Mystik der Gregorianik und die tiefe Empfindung der Madrigalgesänge in das 21. Jahrhundert transformiert werden. In diesen Teilen wird deutlich, dass alle fünf einst beim Windsbacher Knabenchor eine gründliche Ausbildung erhalten haben. Solche stimmlichen Leistungen sind ohne ordentliche Fundamente gar nicht möglich. Beweis gefällig: Jörg und Heiko zeigen, wie man mit Mikro und Stimme eine komplette Rhythmus-Gruppe machen. Mit einem Wort: großartig. Das beste Schlagzeug-Solo der Rockgeschichte, ohne Schlagzeug wohl gemerkt.
Besinnung, Humor und Schmunzeln, Viva Voce haben viele Perspektiven auf das Fest aller Feste. Bei aller Augenzwinkerei weiß das Quintett, dass die eigenen Erinnerungen jedem einzelnen Wichtig sind. Dafür ist ihnen das Publikum den ganzen Abend über dankbar. Die Franken lächeln über so manche Weihnachtsangewohnheit, ohne über das zeitgeistige Versprechen, nix zu schenken, aber sie machen unsere Erwartungen und Erinnerungen nicht lächerlich. Deshalb funktioniert auch der Kontakt zum Publikum.
Bei aller Besinnung und allem Humor haben Vive Voce eine Botschaft: Freue dich, oh Christenheit. Zu Weihnachten muss man nicht in Ehrfurcht erstarren und man muss sich auch nicht mehr vor "Last Christmas" fürchten.

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Die Kreuzgangkonzerte in Walkenried

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